ALIEN - Das Rollenspiel

„Im Weltraum hört Dich niemand schreien!“

Einleitung

Wenn man das ALIEN-Rollenspiel in einem Satz zusammenfassen wollte, würde dieser vermutlich lauten: „H.R. Giger’s Cthulhu in Space“. Beide Spiele haben in gewisser Weise viel gemeinsam, doch unterscheiden sie sich auch in einigen Dingen. Gehen wir etwas ins Detail.

Alien basiert auf dem gleichnamigen Film-Franchise und spielt in einer Zeit, nachdem die Ereignisse aller bisherigen Alien-Filme (mit Ausnahme von Alien Resurrection) bereits stattgefunden haben. Zum Filmkanon zählen somit Alien, Aliens, Alien3, Prometheus und Alien Covenant. Nicht Teil des Kanon sind sämtliche Crossover-Szenarien, wie z.B. Alien vs. Predator. Auch die Alien-Romane oder Comics, welche nicht auf den Filmen basieren, sind nicht offiziell Teil der Geschichte. Es ist aber bereits eine neue, dreiteilige Romanreihe angekündigt, welche direkt mit dem Rollenspielsetting verknüpft sein wird.

Genau wie in den Filmen gibt es drei Grundpfeiler, welche das Alien-Rollenspiel zum Leben erwecken: Body-Horror, Sci-Fi-Action und Sense of Wonder.

Body-Horror beschreibt den Teil, welcher an unsere innersten Ängste heranschleicht und diese physische Formen annehmen lässt, bei deren Anblick uns das Blut in den Adern gefriert. Die Chancen zu überleben sind sehr gering, und der Preis manchmal sehr hoch, körperlich wie geistig.

Sci-Fi-Action bedeutet eine Achterbahnfahrt, das Stolpern von einer Katastrophe zur nächsten und im Zweifel auch wilde Gefechte gegen übermächtige Feinde. Verschnaufpausen sind rar und meistens gibt es irgendeine Gefahr, welche das Überleben ungewiss macht.

Sense of Wonder spielt auf die Erforschung, den technischen Fortschritt und die unglaublichen Dinge an, welche es in der Galaxis zu entdecken gibt. Vom äußersten Rand des Universums bis zum Kern der menschlichen Seele stellt sich immer wieder die Frage: Woher kommen wir und was ist unser Platz in dieser Welt?

Um diese Aspekte angemessen umsetzen zu können, gibt es mehrere Regelteile, die ineinandergreifen, um ein interessantes Spielerlebnis zu bieten.

 

Schlankes Regelsystem

Um den Fokus auf schnelle Spielbarkeit und die Atmosphäre zu richten, sind die Regeln ziemlich schlank gehalten. Es gibt vier Attribute und zu jedem Attribut drei Fertigkeiten, die immer gleich sind, egal ob jemand Offizier, Arbeiter, Pilot, Marine oder Konzernbeauftragter ist. Darüber werden alle relevanten Proben im Spiel abgewickelt. Wenn eine Fertigkeit nicht erlernt wurde, kann sie mit dem Attributswert alleine versucht werden. Der Schwierigkeitsgrad von Aktionen kann vom Spielleiter durch Boni oder Abzüge angepasst werden. Der Wert aus Attribut und Fertigkeit, modifiziert durch Ausrüstung und Schwierigkeit ergibt den normalen Würfelpool für diese Aufgabe.

Das System basiert ausschließlich auf W6, und Ziel ist es in jedem Wurf, mindestens einen Erfolg zu erwürfeln. Im Gegensatz zu Systemen wie z.B. Shadowrun, zählen bei Alien ausschließlich 6er als Erfolg, was jede Probe zu einer größeren Unsicherheit macht. Wird nämlich kein Erfolg erwürfelt, ist die Aktion fehlgeschlagen und es gibt eventuell Konsequenzen. Sind hingegen mehr Erfolge erwürfelt worden, als notwendig, können überzählige Erfolge für Stunts eingesetzt werden, welche vom Erhöhen des Angriffsschadens über Unterstützung eines Teammitglieds mit einem  Erfolg bei derselben Aufgabe bis hin zu angeberischen Kapriolen reicht.

Was auf jeden Fall gilt, ist die Einmal-Regel: Jeder Charakter darf eine Aktion nur einmal ausführen, nicht einfach so lange, bis es mal funktioniert. Sollte er scheitern, kann es jemand anderes versuchen oder man muß sich etwas anderes überlegen. Damit wird auf jeden Fall verhindert, daß die Spannung aus einer Szene verpufft, weil man einfach so lange würfelt, bis man Erfolg hat.

Aber auch das Würfeln einer Probe überhaupt dient bei Alien nicht zur Beschäftigungstherapie. Der Spielleiter ist angehalten, nur dann würfeln zu lassen, wenn es der Spannung zuträglich ist, also der Ausgang einer Aktion ungewiss ist und unter Zeitdruck absolviert werden muß, sowie das Ergebnis zu interessanten Spielabläufen führen kann. Alibi-Würfe, deren Ausgang irrelevant ist, sollen vermieden werden, damit man sich stattdessen auf die Atmosphäre konzentrieren kann.

 

Stress und Überleben

Das Grundsystem wird mit weiteren Regelmechanismen ergänzt, welche speziell darauf abzielen, den Horror-Aspekt und den verzweifelten Überlebenskampf umzusetzen, damit die Bedrohungen greifbar werden. Dazu zählen Dinge wie ein einfaches System zur Feststellung der Tragkraft einer Person, sowie Mechanismen für den Verbrauch von Vorräten wie Luft, Wasser, Nahrung und Energiezellen.

Das wichtigste ist allerdings der Stresslevel. Immer wenn etwas passiert, das einen Charakter körperlich und vor allem seelisch mitnimmt, erhält er einen Stresspunkt. Die Stresspunkte bilden einen zweiten Würfelpool, der entsprechend gekennzeichnet sein muß (z.B. durch eine andere Würfelfarbe) so daß man ihn jederzeit vom normalen Würfelpool unterscheiden kann.

Bei jeder Probe auf ein Attribut oder eine Fertigkeit wird der Stresspool ebenfalls mitgewürfelt. Das kann ein Stück weit sogar vorteilhaft sein, da auch in diesem Pool die 6er als Erfolg für den Wurf zählen. Problematischer ist jedoch, daß die 1er auf den Stresswürfeln einen negativen Effekt haben: Sie erfordern einen Panikwurf, der im Zweifel zu Panik und unüberlegten Aktionen führen kann.

Natürlich gibt es genauso Mechaniken, um das Stresslevel wieder zu senken, aber trotzdem sollte man immer ein Auge darauf haben.

 

Cineastische Szenarien und Kampagnen

Es gibt zwei grundlegend verschiedene Arten, das Alien-Rollenspiel zu spielen. Das eine sind cineastische Szenarien, von denen es einige vorgefertigte zum Kaufen gibt, inklusive Einsteigerbox mit abgespeckten Regeln. Hier übernehmen die Spieler in der Regel vorgefertigte Charaktere in einem kinofilmreifen Setting, sei es der berühmte Raumfrachter, der umgeleitet wird, oder die Truppe Colonial Marines, die total unvorbereitet mit ihrem Abwurfshuttle in einer überrannten Kolonie landet. Jeder Charakter hat – neben individuellen Stärken und Schwächen – dabei eine persönliche Agenda, welche vor den Mitspielern geheimgehalten werden sollte, und bei deren erfolgreicher Umsetzung Storypunkte nach jedem Akt der Geschichte vergeben werden.

Diese Storypunkte gehören dem jeweiligen Spieler, da es durchaus vorkommen kann, daß ein Charakter im cineastischen Spiel das Zeitliche segnet und der Spieler somit einen anderen Charakter oder NSC übernehmen darf. Storypunkte können eingesetzt werden, um sich für einen wichtigen Wurf einen automatischen Erfolg zu erkaufen und so den Fortgang der Geschichte zu sichern.

Die andere Spielart sind Kampagnen, in welcher die Spieler sich individuelle Charaktere erschaffen, die innerhalb eines gemeinsam gewählten Settings zusammenarbeiten und dann mit den Schrecken des Alien-Universums konfrontiert werden. Hierzu kann ich aktuell wenig sagen, da ich diese Art noch nicht ausprobiert habe. Es wird hierfür auf jeden Fall das Grundregelwerk benötigt, da in der Starterbox lediglich ein abgespecktes Regelheft mitgeliefert wird.

 

Spielleitung

Ein paar Worte noch zur Spielleitung. Zum einen wird der Spielleiter in den ganzen Publikationen als die „Game Mother“ (oder kurz „GM“) bezeichnet und durchgängig als weiblich angesprochen. Aus meiner Sicht ist das eine nette und stimmungsvolle Verbeugung vor den starken Frauen- bzw. Mutterfiguren, die ein wichtiges Element des Alien-Franchise sind, allen voran Ellen Ripley, aber auch die Alien-Königin oder der als „Mutter“ bezeichnete Bordcomputer MU/TH/UR. Mehr sollte man auch nicht hineininterpretieren. Welches Geschlecht der/die Spielleiter/in hat, ist für das Spiel absolut unwichtig.

Das zweite ist, daß Alien sich – ähnlich wie Cthulhu – eher an erfahrene Spielleiter richtet. Die Einstiegshürde als Spieler ist aufgrund des schlanken Regelwerks und bei cineastischen Szenarien der vorgefertigten Charaktere recht niedrig. Dem gegenüber steht die Fähigkeit des Spielleiters, nicht nur die Regeln im Blick zu behalten, sondern vor allem eine düstere Atmosphäre zu erschaffen, in welcher das Grauen des Alien-Universums zum Leben erweckt werden kann. Dies ist etwas, das Übung und Erfahrung benötigt, daher empfehle ich das Alien-Rollenspiel eher für erfahrene Spielleiter, nicht für absolute Neulinge.

 

Aufmachung und Ausstattung

Die aktuelle Inkarnation des Alien-Rollenspiels wird vom schwedischen Verlag „Free League Publishing“ herausgegeben. Die visuelle Aufmachung ist extrem gut gelungen und fängt die Atmosphäre des Alien-Universums sehr gut ein. Die Bücher sind hauptsächlich in schwarz gehalten, teilweise mit Flavortexten in grüner Schrift, ansonsten mit hellen Boxen von normal lesbarem Text. Tabellen sind meistens in grün auf schwarz gedruckt, was sehr stylish aussieht, aber schlecht zum Kopieren ist. Auch Schiffspläne und Grundrisse sind größtenteils in grün auf schwarz gedruckt, was zu demselben Problem führt. Dito für die sehr schön gestalteten Charakterbögen der vorgefertigten Charaktere. Glücklicherweise gibt es für die meisten Handouts auch druckfähige Varianten mit schwarzer Schrift auf weißem Hintergrund zum Download auf der Website des Verlags.

In der stabilen Starterbox ist neben einem cineastischen Szenario für den Einstieg („Chariot of the Gods“ – „Streitwagen der Götter“) das erwähnte, abgespeckte Regelbuch, sowie eine A1-große Karte des Abenteuer-Raumschiffs, sowie auf der Rückseite eine Galaxiskarte enthalten. Dazu gibt es zwei Stanzbögen mit Pappmarkern, die nicht nur für das mitgelieferte Abenteuer benutzt werden können, fünf doppelseitige, farbige Charakterbögen mit den vorgefertigten Charakteren des Szenarios, sowie ein Kartenset, welches neben wichtigen Dingen wie Initiativekarten und den Agendas für die einzelnen Charaktere auch Karten mit Darstellungen von Waffen und Gegenständen enthält. Zu guter Letzt sind zwei Sätze mit je 10 Würfeln für den normalen und den Stresswürfelpool enthalten. Die normalen Würfel sind schwarz und besitzen die Zahlen 1-5, sowie die speziell gekennzeichnete 6 mit dem Erfolgssymbol. Die Panikwürfel unterscheiden sich durch ihre gelbe Farbe sofort und besitzen ebenfalls die Zahlen 2-5, die 6 mit Erfolgssymbol, sowie auf der 1 einen Facehugger, um Patzer deutlich zu visualisieren. Insgesamt auf jeden Fall gut gelungen.

Ebenfalls schön ist die Tatsache, daß es neben der englischen auch mehrere übersetzte Versionen, unter anderem auf Deutsch gibt, sowohl von der Starterbox, als auch vom Grundregelwerk und den weiteren Produkten. Da ich mich für die englische Variante entschieden habe, kann ich nichts zur Qualität der Übersetzungen sagen, aber es ist somit auf jeden Fall auch für Spieler zugänglich, die des Englischen nicht so mächtig sind.

Eine Sache, die ich leider erst etwas spät herausgefunden habe, ist die, daß es einen Unterschied macht, ob man die Produkte beim Hersteller direkt über den Webshop oder über Portale wie Amazon kauft. Während man die Boxen oder die Hardcover-Bücher bei anderen Versandhändlern eventuell etwas günstiger bekommen kann, bietet der Verlag beim Direktkauf der Printversion zusätzlich die PDF-Version des jeweiligen Produkts ohne Aufpreis mit an. Wenn man also vorhat, online zu spielen oder statt aller Bücher lieber ein Tablet benutzten möchte, ist man gut beraten, direkt beim Hersteller zu kaufen, zumal ich keine separate PDF-Kaufversion gesehen habe.

Was zusätzlich kostenpflichtig angeboten wird, ist eine komplette Sammlung des Materials der jeweiligen Bücher und Boxen für mehrere große Online-Plattformen und virtuelle Tabletops, wie z.B. Foundry VTT, Roll20 und FantasyGrounds. Daneben haben sich einige Fans die Mühe gemacht und kostenlose Spieltische für Tabletop-Simulator und weitere „kleine“ Tools erstellt, die alle Spielmaterialien außer den PDFs enthalten.

 

Fazit

Wer Fan der Alien-Filme ist und schon immer Abenteuer in dieser düsteren Galaxis erleben wollte, kann beim Alien Rollenspiel von Free League bedenkenlos zugreifen. Aufmachung, Illustrationen und die interessant gestalteten Szenarien fangen das Flair der Filme sehr gut ein, und das schlanke Regelsystem bringt genau so viel Regellast, wie für die Spannung und Immersion notwendig sind, aber verzichtet auf überflüssigen Schnickschnack. In jedem Fall empfehle ich den Kauf direkt beim Verlag, um die PDFs ohne Aufpreis mitzunehmen.

Kurzübersicht: ALIEN

Genre: Sci-Fi-Horror

Spielt in: einer möglichen Zukunft unserer Welt des Jahres 2280, angereichert um fortschrittliche Technik und diverse mysteriöse und blutrünstige Wesen.

Verlag: Free League Publishing (Fria Ligan)

Erscheinungsjahr: 2018

Erhältlichkeit: aktuell erhältlich, mehrsprachig, u.a. auf Deutsch, Sortiment wird ausgebaut.

Weitere Medien: Neben den ikonischen Kinofilmen (mittlerweile 6 Filme), gibt es eine Reihe von Romanen, Comics und Computerspielen, sowie Brett/Tabletop-Spiele. Auch einige „Sachbücher“ wie das Handbuch der Colonial Marines oder Kunstbände mit den Werken von Alien-Designer H.R. Giger und anderen sind erhältlich. Ein älteres Rollenspielsystem war bereits auf dem Markt, ist jedoch bereits seit Langem vergriffen und maximal antiquarisch erhältlich.

Darüber hinaus gibt es mehrere Crossover-Franchises, in welchen die Welten von Aliens und anderen Filmen, Serien oder Comics kombiniert wurden. Am bekanntesten ist das Alien vs. Predator-Franchise, zu dem es ebenfalls Filme, Comics, Romane, Computerspiele und andere Produkte gibt. Daneben existieren Crossovers u.a. mit Terminator, sowie DC-Comics (Batman, Superman etc.).