Cyberia - Die Dunkle Stadt - Behind the Scenes
Die grundlegende Idee
Die Grundidee für die Cyberia-Kampagne basiert auf einem d20-Szenario namens „Dungeon World“, das ich vor gut 15 Jahren in einem Restpostenstapel eines Rollenspielladens gefunden hatte. Das Modul hat absolut nichts mit dem aktuell erhältlichen Rollenspielsystem „Dungeon World“ gemein, sondern war 2002 von einem Herausgeber namens Fast Forward Entertainment produziert worden, genau wie zwei Ergänzungsbände und eine allgemeinere d20-Publikation. Leider war der Herausgeber nicht sorgfältig genug bei der Einhaltung der Lizenzbestimmungen vorgegangen und wurde postwendend von Wizards of the Coast verklagt. Man mußte die Firma daraufhin dichtmachen und sämtliche Restbestände der Bücher vernichten. Somit kann also maximal noch irgendwo antiquarisch ein Exemplar gefunden werden.
Das ist aber prinzipiell nicht weiter schlimm, denn an seitenweisen Stats für d20 oder recht grob gestalteten Dungeonplänen hatte ich eh wenig Interesse. Was mich fasziniert hatte, war die Beschreibung des Settings und möglicher Abenteuer, die darin stattfinden konnten, also gerade mal die ersten 10 Seiten des ersten Bandes.
Die grundlegende Idee kurz zusammengefasst, liest sich wie folgt: Dungeon World ist eine eigene Ebene (Plane) im D&D-Multiversum, aber etwas abseits der anderen und schwer zu erreichen. Das hauptsächliche Feature von Dungeon World ist, daß es keine Oberwelt gibt, sondern die ganze Plane ein gigantischer Dungeon aus unzähligen verschiedenen Bereichen mit verschiedenen Bewohnern ist.
Die hauptsächliche Methode, wie man nach Dungeon World kommt, ist es, in seiner eigenen Welt zu sterben, aber von den „Caretakern“, einer Gruppe mächtiger Wesen, welche die Dungeon World verwalten, als nützlich angesehen zu werden und im Augenblick des Todes „abberufen“ zu werden. Wer also in den Forgotten Realms stirbt, aber als nützlich erachtet wird, könnte kurz darauf in einem neuen Körper in der Dungeon World erwachen und von den Caretakern mit einer Aufgabe betraut werden, bei deren erfolgreichem Abschluß derjenige in seinen eigenen Körper in seiner eigenen Welt zurückkehren kann und eine zweite Chance dort bekommt. Dies funktioniert natürlich nur, sofern der Körper dort nicht inzwischen eingeäschert oder sonstwie zerstört wurde, weil die trauernden Gefährten nicht gemerkt haben, daß der Körper gar nicht ganz tot ist und sich langsam regeneriert.
Wenn die Gefährten des „Verstorbenen“ das allerdings herausfinden und auf die Suche gehen, könnten sie darauf stoßen, daß es die Dungeon World gibt und wie man sie über die Ebenen erreichen kann. Dort können sie dann ihren Kameraden suchen und ihm beistehen, müssen dann aber ein Portal finden, welches sie zurückbringt, da sie selbst ja körperlich dort sind, während der „Abberufene“ einen Ersatzkörper bekommen hat.
Soviel zu dem Szenario, welches mich gleich beim Lesen inspiriert hatte, es in eine meiner Runden einzubauen. Da ich jedoch so gut wie kein D&D spielte und schon gar nicht leitete, hätte ich das Szenario sowieso auf ein anderes System anpassen müssen. DSA oder Earthdawn waren mir in den Sinn gekommen, doch bei Earthdawn gab es i.d.R. genügend magische Hilfsmittel, um Gruppenmitglieder vom Tod zurückzuholen, und DSA spielte ich zu der Zeit kaum noch. Dazu kam, daß die meisten meiner Mitspieler ziemlich angefressen waren, wenn ihrem ach so teuren Charakter etwas kleines zustoßen würde, wie eine Narbe oder der Verlust eines Gegenstands, so daß ich gar nicht daran denken wollte, was passieren würde, wenn einer mit dem scheinbaren Tod seines Charakters konfrontiert wäre.
Also lag das Konzept erst einmal längere Zeit auf Eis, und da ich die letzten 10 Jahre hauptsächlich Star Wars spielte und leitete, war ein derartig Fantasy-lastiges Konzept auf den ersten Blick kaum umsetzbar.
Dark Trooper Kampagne und Finale
Springen wir vorwärts ins Jahr 2015 und mitten in die laufende Dark Trooper Kampagne. Da ich anfangs nur ein sehr vages Konzept der Kampagne hatte, das erst über Zeit mehr gereift war, hatte ich auch erst in 2015 richtig festgelegt, wer der Oberbösewicht tatsächlich sein sollte: ein mächtiger Sith-Lord, der aber von außerhalb der bekannten Galaxis stammte, was einige der neuen Technologien erklärte, die er in „seinem“ Imperium eingeführt hatte. Er musste sehr alt und mächtig sein, um so viel Einfluss aufbauen und so viele dunkle Schüler heranzüchten zu können, und damit war die Idee der Wächter geboren, die auf altägyptischen Göttern und ihrem Kampf gegen den Verschlinger Apophis basierte.
Zu spät fiel mir auf, daß es kaum machtsensitive Charaktere in den Reihen der Spieler gab, weil ich diese jahrelang vernachlässigt hatte. Lediglich mein eigener Charakter Trance war gerade erst „erwacht“, doch würde sie niemals „rechtzeitig“ mächtig genug sein, um etwas gegen den Dunklen Lord ausrichten zu können. Zumal eigentlich die Spieler die Helden sein sollten. Aber der Sieg gegen einen so übermächtigen Gegner konnte eigentlich nur mit einem großen Opfer möglich sein. Wer den finalen Schlag ausführen würde, würde auch selbst dabei vergehen.
Das führte wieder zurück zu meinen Spielern, die auch in der damaligen Zusammensetzung nicht wirklich bereit gewesen wären, einen ihrer Charaktere zu opfern, um das Böse endgültig zu besiegen. (Ich hatte mehr oder weniger direkt gefragt, daher kann ich das auch mit Sicherheit sagen.) Und weshalb sollte ich sie dafür verurteilen oder dazu zwingen, denn eigentlich wollte ich meinen damaligen Lieblingscharakter Trance auch nicht einfach so sterben lassen. Dummerweise war das die einzige Möglichkeit, ein würdiges Opfer zu präsentieren, um die Mächtigkeit des finalen Gegners zu beweisen, ohne dabei einen Spielercharakter bewusst zu töten.
Mittlerweile war es 2016 und die Zeit bis zum Finale recht weit fortgeschritten. Da Trance aber niemals mächtig genug gewesen wäre, und auch um die Spieler an dem finalen Akt teilhaben zu lassen, hatte ich mich von „Guardians of the Galaxy“ inspirieren lassen, wo Star Lord eben auch nicht alleine stark genug ist, um den Infinity-Stein zu kontrollieren, sondern seine Gefährten sich mit ihm zusammenschließen müssen, um gemeinsam den Bösewicht zu vernichten.
Also würde Trance sich – mittels der extra dafür entwickelten Machttechnik „Geistverbindung“ – mit ihren Gefährten verbinden, und dann zufällig mit allen anderen auch, was sie kurzzeitig zur mächtigsten Person in der Galaxis machen, danach aber todsicher umbringen würde.
Einerseits war ich tatsächlich bereit, Trance zu opfern, da mehrere Spieler und Spielleiter schon Interesse angemeldet hatten, den Charakter tot sehen zu wollen. Andererseits wollte ich genau diesen Stimmen nicht nachgeben und ihnen zuliebe einfach meinen liebsten Charakter zerstören. Da erinnerte ich mich an Dungeon World und überlegte, daß es für die „Caretaker“ doch eine unheimliche Verlockung wäre, wenn diese ultra-mächtige Person sterben würde und sie sie „abberufen“ könnten, um ihr eine schier unmögliche Aufgabe zu geben – eine, die die normalen Fähigkeiten von Trance bei weitem übersteigen würde.
Irgendwann später würden ihre Freunde merken, daß etwas nicht stimmte, und in die Dungeon World reisen, um Trance beizustehen. Soweit, so gut. Doch das Fantasy-Setting mit den steinernen, unterirdischen Katakomben und Fantasy-Monstern passte einfach nicht zu Star Wars.
Cyber Dungeon World
Also überlegte ich, wie ich die Prämisse von Dungeon World durchziehen, den Dungeon aber etwas mehr an das anpassen konnte, was man aus einer technisierten Welt wie Star Wars als „Hölle“ erwarten würde. Es musste also so etwas wie ein sehr düsterer Cyberdungeon sein. In diesem Moment kam mir der Klappentext eines meiner absoluten Lieblingsmangas in den Sinn: „Adventure-Seeker Killy in the Cyber-Dungeon-Quest.“
Die Rede ist von der Manga-Serie „Blame!“ des Zeichners Tsutomu Nihei. Ich hatte die Bücher verschlungen, als sie Anfang der 2000er in Deutschland herausgekommen waren und war von dieser düsteren Endzeit-Cybersaga begeistert gewesen.
Blame! spielt in einer Welt, die unsere Erde in tausenden von Jahren sein könnte: komplett überbaut von einer selbstständig wuchernden, durch unkontrollierte Baumaschinen wachsenden Superstruktur, die bereits die Ausmaße des Planeten überschritten hat, dabei aber schon längst im Verfall begriffen ist. Es gibt nur noch wenige Menschen in dieser gefährlichen und grausamen Welt, und die wenigen, die es gibt, müssen ständig auf der Hut vor Mutanten und bösartigen Maschinenwesen sein. Inmitten dieser gigantischen Ruinen sucht ein einsamer Wanderer namens Killy nach den letzten Menschen mit sogenannten „Netzwerkgenen“, die in der Lage wären, sich mit der Netzwerksphäre, der virtuellen Verwaltungsoberfläche der Stadt, zu verbinden und das unkontrollierte Wachstum und die Vernichtungsaktionen der „Schutzwehr“ genannten Sicherheitssysteme gegen die überlebenden Menschen zu stoppen. Dabei trifft der wortkarge Killy auf wenige Verbündete und eine Vielzahl an Gefahren und Gegnern, und mehr als einmal stellt sich die Frage, wie menschlich er selbst eigentlich noch ist.
Sofort war ich Feuer und Flamme und holte meine Blame!-Mangas aus dem Regal und las sie ein weiteres Mal durch. Mit jedem Kapitel war ich mir mehr und mehr sicher: Genau das ist es, was ich machen möchte! Eine Verbindung zwischen Star Wars und der düsteren Welt von Blame!, um darin das Dungeon World Konzept umzusetzen.
Für so eine Welt machte es absolut Sinn, daß die „Abberufenen“ einen Klonkörper bekommen würden, welcher ein wenig überdurchschnittlich war und entsprechende Szenen wie im Manga ermöglichen würde, wie weite Sprünge, in Gebäude geschmettert zu werden oder das Abfeuern einer mächtigen Waffe wie des Gravitationsstrahlers. Zusätzlich gab es durch die Klonkörper die Gelegenheit, die Gefährlichkeit der Welt zu demonstrieren, indem der Körper vernichtet wird und der Abberufene im nächsten Körper aufwacht.
Die epische Quest sollte die Suche nach einem ehemaligen Mitglied der Caretaker sein, der sich aus dem Kollektiv ausgeklinkt hatte, weil er nicht mehr mitansehen wollte, wie die Menschen von dem System versklavt wurden, woraufhin der Zerfall der Welt zu ihrem jetzigen Stadium eingesetzt hatte.