Cyberia - Die Dunkle Stadt
Trance-zendenz - Mia's Visionen
Vision 9: Falling (nach „Suche nach Dr. Kajiro“)
In ihrer Meditation spürte Mia, wie sie erneut in die fremde Welt abtauchte, in der Trance gefangen war. Sie erinnerte sich aber noch gut daran, was passiert war, als sie das letzte Mal mit ihrer Freundin zusammengetroffen war. Auch daß diese Maschinenwesen, die Trance die „Schutzwehr“ genannt hatte, sie hatten finden und töten können, war auf ihre Anwesenheit zurückzuführen gewesen. Also versuchte die Twi‘lek, die Verbindung zu beenden, wusste aber nicht genau, wie sie das bewerkstelligen sollte. Undeutlich nahm sie wahr, wie sie durch unzählige Schichten Metall in diese Welt gesogen wurde, als auf einmal die Gegenstelle – Trance – die Verbindung beendete.
Mia blieb an einem Ort stehen, der einen atemberaubenden Anblick bot. Hoch innerhalb einer gigantischen Kuppel schien sie herausgekommen zu sein. Die Ausmaße waren so gewaltig, daß man die gegenüberliegende Seite nur erahnen konnte. Gleichzeitig wirkte es wie die Kuppel, welche sie bei dem fatalen Kampf zwischen Trance und den Maschinenwesen auf dem Dach eines Gebäudes in einer vorhergehenden Vision gesehen hatte. Diesmal war sich Mia auch recht sicher, daß der „Himmel“ in Wirklichkeit eine künstliche Decke hatte, und daß sie sich innerhalb eines gigantischen künstlichen Gebildes befand.
Doch dann bemerkte sie, daß sie nicht stillstand, sondern sich bewegte – und zwar abwärts. Aufgrund der riesigen Ausmaße war es ihr erst gar nicht aufgefallen. Immer näher kamen die Gebäude, und die Twi’lek glaubte, auf einem der Dächer die Stelle entdeckt zu haben, wo Trance zuletzt gestorben war.
Dann war sie vorbei und sah Schächte auf sich zukommen, gefüllt mit Rohren, Kabeln, Brücken, Lichtern. Alles war alt, verfallen, zerstört, verrostet oder abgebrochen. Einen Moment lang glaubte sie, die bienenstockförmigen Bauten aus einer früheren Vision zu erkennen, dann verschluckte sie ein weiterer Schacht. Sie konnte den Wind spüren, den ihre Bewegung verursachte, als sie nur ganz knapp an Strukturen vorbeirauschte und immer schneller wurde.
Da! Das konnte der Vorsprung sein, auf dem sie Trance das erste Mal gesehen hatte, und nicht weit davon lag eine riesige Klinge, wie jene, die sie ebenfalls getötet hatte. Immer schneller fiel Mia in die immer größere Dunkelheit, und dann glaubte sie, den Boden zu sehen, wie er immer näher und näher kam.
Der Aufprall war hart und sie spürte den Schmerz, doch konnte sie noch einen Blick durch den transparenten Boden auf einen Schacht erhaschen, der mehrere hundert Ebenen weiter nach unten führte.
Dann brachte sie der Schmerz in die Wirklichkeit zurück, und Mia lag im Meditationsraum zwischen den Sitzpolstern mit dem Gesicht auf dem Boden, wo sie sich die Nase blutig geschlagen hatte.
„Alles ok bei Dir?“ fragte Shanta, die offenbar diesmal keine schlimme Meditation durchgemacht hatte.
Während die Twi’lek sich stöhnend aufrichtete und die Nase hielt, mahnte Meister Tryan: „Du solltest vorsichtig sein! Scheinbar seid ihr noch immer verbunden.“
Vision 10: Umzingelt (nach „Nar Shadd’Art“)
Nach dem Abendessen begab sich Mia zusammen mit Shanta zur Meditation. Diesmal war sie auf alles gefasst, und als sie wieder den bekannten Sog feststellte, welcher sie jedes Mal in die fremde Welt gezogen hatte, stemmte sie sich dagegen. Zwar konnte sie nicht verhindern, daß sie einige Ebenen weit hineingezogen wurde, jedoch gelang es ihr dann, die Verbindung zu kappen, und sie fiel in einem Teil dieser Welt zu Boden, der ein langer, großer Gang mit vielen Rohren zu sein schien.
Die Twi’lek war beunruhigt, denn der Aufprall hatte sich für sie ziemlich echt angefühlt. Allerdings waren keine Feinde zu sehen oder zu hören. Sie wollte gerade ein paar Schritte gehen, um sich umzuschauen, als sich vor ihr eine Gestalt materialisierte. Sie hatte vage humanoide Züge, eine lange schwarze Robe und scheinbar keine Extremitäten. Das Gesicht glich den puppenhaften Masken, welche die Schutzwehr getragen hatten, mit dem Unterschied, daß dieses auf der Stirn 3 vertikale Striche aufwies.
Die Gestalt begann zu sprechen, ohne dabei jedoch die Lippen der Maske zu bewegen: „Achtung! Sie sind in einen geschützten Bereich eingedrungen und befinden sich in Gefahr!“
„Wer oder was bist Du?“ formulierte Mia ihre Gedanken aus.
„Ich bin ein Bote der Netzwerksphäre. Sie müssen unbedingt sofort umkehren, denn sie befinden sich in….“
„Gefahr!“ die Stimmlage des Boten hatte sich nach unten verändert.
Noch während die Twi‘lek hilflos zuschaute, wurde der Körper dieses Maschinenwesens verändert, verzerrt und verformte sich, bis er sich in eine androgyne humanoide Gestalt verwandelt hatte, die einen ähnlichen Bodyglove trug, wie ihn Trance getragen hatte, mit Hardpoints an denselben Stellen. Ihr Gesicht besaß einen senkrechten und zwei kurze waagrechte Striche.
Mit mechanisch klingender Stimme sagte diese Gestalt: „Achtung, Eindringlingsalarm! Schutzwehr-Einheiten aktivieren!“
Im nächsten Moment zuckten Blitze durch den Gang, und überall, wo sie den Boden berührten, formten sich die bereits bekannten mechanischen Puppen, welche Trance Schutzwehr genannt hatte. Vier von diesen Wesen sprangen Mia auch sofort an, während sich weitere im Hintergrund formierten. Die Angreifer begruben die Twi‘lek unter sich und zerrten an ihr, hielten sie fest, wollten sie würgen.
Mia bekam Panik und benutzte die Macht, um die Angreifer von sich fort zu schleudern. Es machte dreimal „Klonk“, als die Schutzwehr-Einheiten gegen die Rohre an der Wand knallten, doch die vierte Einheit machte stattdessen „Aua!“
Die Twi‘lek blinzelte, und stellte fest, daß sie sich im Meditationsraum befand und gerade Shanta mit der Macht an die Wand gedrückt hatte. Verzweifelt strampelte das Mädchen, da ihr wohl die Luft wegblieb, und schnell ließ Mia sie los.
„Bist Du verletzt?“ fragte die Twi‘lek, doch Shanta brauchte einen Moment, bis sie wieder Luft geholt hatte.
„Nein, mir geht es gut. Du hast geschrien und da hab ich Dich geschüttelt und versucht, Dich aufzuwecken, als Du mich an die Wand geschleudert hast. Ist alles ok bei Dir? Ist Dir was passiert?“
„Nein, noch nicht!“ murmelte Mia und vergrub ihr Gesicht in den Händen. „Aber das ist mir zu gefährlich. Ich will nicht, daß jemand verletzt wird!“
„Du mußt mehr Fokus aufbauen, mehr Kontrolle ausüben!“ sprach Meister Tryan. „Du darfst auf gar keinen Fall jetzt abbrechen!“
„Dann darf das nächste Mal keiner dabei sein, auch das Holocron nicht. Niemand!“ sagte sie mit Tränen in den Augen.
„Hmm, wir könnten Lucy zum Aufpassen schicken“, meinte Shanta mit einem fiesen Grinsen im Gesicht, das jedoch gleich wieder ernst wurde, als sie merkte, daß der Scherz nicht gut ankam. „Hast Du… sie gesehen?“ fragte sie danach.
Mia schüttelte den Kopf. „Nein, ich hab die Verbindung abgebrochen und bin wohl in einer anderen Ecke dort gelandet. Wo ich nicht sein durfte, laut dem Sicherheitsprotokoll oder was auch immer.“
Shanta nahm die Twi‘lek in den Arm. „Wir schaffen das!“ flüsterte sie ihr zu.
Vision 11: Verbindung getrennt (nach „Dar’Shok’s Revenge“)
Zum ersten Mal meditierte Mia zusammen mit Dar’Shok, welcher bei Meister Tryan ebenfalls in die Lehre gegangen war. Die Twi’lek war etwas verunsichert, weil sie letztes Mal beinahe Shanta verletzt hätte, aber zu spät fiel ihr ein, daß sie eigentlich alleine meditieren wollte, um niemanden sonst zu gefährden.
Als sie in die Meditationstrance versank, spürte sie wieder das vertraute Ziehen und Zerren, welches jedes Mal andeutete, daß sie zu Trance in diese fremde, technisierte Welt gesogen wurde. Doch diesmal war Mia vorbereitet und stemmte sich dagegen. Sie durfte nicht wieder zu Trance gelangen, um diese nicht zu gefährden, und sie durfte auch nicht an einem anderen Ort in jener Welt landen, um zu verhindern, daß sie wieder jemanden in Gefahr brachte.
Irgendwie schlich sich der Gedanke in ihre Meditation, daß es wohl besser wäre, wenn die Verbindung mit Trance dauerhaft getrennt wäre, fast so, wie wenn man einen Kabelstrang mit einer Vibroaxt kappen würde. Kaum hatte Mia den Gedanken zu Ende gedacht, als sie spürte, wie sich die Verbindung zu Trance auflöste. Sie wurde nicht länger weggezogen, und als sie die Augen öffnete, saß sie auf ihrem Polster im Meditationsraum.
Shanta und Dar’Shok atmeten ruhig und gleichmäßig, waren also wohl in ihre eigenen Meditationen eingetaucht. Mia zuckte mit den Schultern und versuchte, wieder in ihre Meditation zu finden. Sie schaffte es nach kurzer Verzögerung auch, in eine ruhige, meditative Stimmung zu gelangen, doch dann wurde ihr bewusst, daß etwas fehlte: Sie konnte die Verbindung zu Trance und zu der Welt, in der sie sich aufhielt, nicht mehr spüren. Sie war weg, und instinktiv wusste die Twi‘lek, daß sie auch nicht wiederkehren würde.
Sie war nun allein und würde Trance vermutlich nie wiedersehen. Mit einer Träne im Auge wachte Mia auf und beendete ihre Meditation.
- Ende? -
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