Earthdawn - Das vergessene Kaer

Kapitel 3: Säuberungsaktion

Diesmal hörten sie ihm zu, als Doralgon von der Expedition berichtete und die Beweise vorlegte. Sein eigener Vorgesetzter, Magistrat Thasgren Granithelm, beglückwünschte Doralgon zu der gelungenen Expedition und übernahm persönlich die Organisation einer Nachfolgemission, um mehr über das Kaer und sein Schicksal herauszufinden. Nicht weniger als 10 erfahrene Zwergensöldner unter dem Kommando von Nozzuk Dunkelgräber wurden für Doralgons persönlichen Schutz abgestellt. Doch der Schreiber wusste bereits, daß sie es mit Untoten und vielleicht noch Schlimmerem zu tun bekommen würden, und somit waren ihm Adepten in Form reisender Abenteurer an seiner Seite lieber als angeheuerte Söldner.

Die elfische Geisterbeschwörerin Kenara war mit Doralgon in Kontakt geblieben, nachdem sich seine erste Expedition bei ihrer Ankunft in Märkteburg aufgelöst hatte, und sie war auch sofort bereit gewesen, wieder mitzukommen, wenn man sich den Untoten erneut stellen würde. Somit schritten der Zwerg und die Elfe gemeinsam zum Gasthaus „Zur tänzelnden Tundrabestie“ in Märkteburg, um eine neue Gruppe Abenteurer anzuheuern.

Wie es der Zufall so wollte, trafen sie dort auch direkt auf einige alte Bekannte von Kenara, die sie sofort herzlich begrüßten. Es handelte sich um den Obsidianer-Magier Kork, von dem die Elfe wusste, daß er beim Anblick von Spitzhacken Schweißausbrüche bekam, sowie die rothaarige Elfe Shawn, die eine begabte Scout-Adeptin war, sich gut in der Natur auskannte und neben ihrem Bogen auch gut mit dem Breitschwert umgehen konnte. Der letzte im Bunde war Kenara unbekannt und wurde von den anderen beiden als Phill vorgestellt, ein T’skrang-Waffenschmied der einen blauen Schuppenkamm auf dem Kopf trug und mit einem verzierten Breitschwert und Dolch ebenfalls gut bewaffnet aussah.

Die beiden Neuankömmlinge setzten sich dazu und man kam ins Gespräch. Alle drei Abenteurer hatten noch nichts für die kommenden Tage geplant gehabt und waren einem angemessenen Verdienst nicht abgeneigt, so daß sie – nachdem Kenara die grobe Situation erklärt und dabei auch die Untoten nicht ausgelassen hatte – einwilligten, die neuerliche Expedition zu begleiten und dabei zu helfen, die rastlosen Toten zur ewigen Ruhe zu betten.

Nachdem alle zugestimmt hatten, stand Doralgon zufrieden auf und bezahlte beim Wirt, um sich danach zu verabschieden, während Kenara bei der Gruppe blieb und man sich gegenseitig erzählte, was seit der letzten gemeinsamen Unternehmung so vorgefallen war. Nachdem es schon etwas spät geworden war und der Aufbruch recht zeitig am Morgen stattfinden sollte, verabschiedete sich Kenara dann auch in Richtung ihrer Unterkunft. Die anderen waren freudig überrascht, zu hören, daß der Zwerg ihre Zeche und ihre Übernachtung bezahlt hatte.

 

Am nächsten Morgen fanden sich alle Mitglieder der Expedition am südlichen Rand von Märkteburg ein. Magistrat Granithelm hatte zwei Planwagen und weitere vier Packpferde organisiert, die von den Söldnern kutschiert und geführt wurden. Der mürrische Nozzuk Dunkelgräber, der die Söldner kommandierte, stellte den Abenteurern gegenüber auch gleich klar, daß sein Auftrag lautete, Schreiber Doralgon Funkenschreck zu beschützen, nicht eine Bande von dahergelaufenen Rumtreibern.

Abgesehen davon durften die Abenteurer ihr Gepäck auf die Planwagen verladen, und auf ebener Fläche sogar auf den Wagen mitfahren, was die Reise durchaus angenehmer gestaltete, als wenn man den ganzen Weg zu Fuß und mit vollem Gepäck hätte zurücklegen müssen. Auch die Nachtwachen unterwegs übernahmen die Zwerge. Um sich die Zeit ein wenig zu vertreiben, organisierte Phill sich ein Stück Holz und schnitzte etwas daraus. Immer wieder blickte er verstohlen zu Kenara, drehte sich dann aber wieder weg, bevor es zu auffällig wurde.

Mitte des fünften Tages zweigte der immer noch überwucherte und daher fast unsichtbare Pfad von der Straße ab, und zur Mitte des siebten Tages hatte man dank der guten Ortskenntnis von Doralgon und seiner Aufzeichnungen des vorigen Besuchs das zerstörte Dorf Ehrenstein erreicht. Nach kurzem Überblick über die Lage stimmte Nozzuk zu, daß das Steinhaus, welches bereits beim ersten Besuch ihr Lagerplatz gewesen war, auch diesmal als Basislager dienen würde. Die Pferde wurden auf der unteren Ebene untergebracht, die Wagen vor dem Haus abgestellt und die Eingangstür so weit repariert, daß sie bequem zu öffnen und sicher zu verschließen war. Außerdem wurden ständig zwei Mann zum Wachdienst abgestellt, die vor der Türe stehen und die Augen offenhalten sollten.

Shawn, die bereits auf der Reise immer wieder die Umgebung betrachtet hatte, versuchte auch nach der Ankunft festzustellen, ob es in den Ruinen des Dorfes irgendeine Form von Magie gab, konnte jedoch nichts entdecken. Lediglich in Richtung des Kaers war ein leichtes astrales Leuchten wahrzunehmen.

Da die gründliche Durchsuchung der Ruinen und der Aufbau des Basislagers bereits einiges an Zeit in Anspruch genommen hatten, wurde jegliche Aktivität in Richtung des Kaers auf den nächsten Tag verschoben und stattdessen das Abendessen eingeläutet. Einer der Zwerge schien ein ausgezeichneter Koch zu sein, denn er hatte bereits während der Reise die Zubereitung des Essens übernommen und enttäusche auch hier nicht mit seinen scharf gewürzten Suppen und Eintöpfen.

Nach dem Essen winkte Phill Kenara zur Seite und übergab ihr das Geschenk, an dem er die ganze Reise über gearbeitet hatte: eine kleine Holzstatuette von ihr. Die Elfe war total baff, bedankte sich für das tolle Geschenk und gab dem T’skrang einen Kuß auf die Wange.

Beflügelt davon lag Phill noch einige Zeit wach, bevor die Müdigkeit ihn übermannte, und er wachte gegen morgen auf, als die Natur ihren Tribut forderte. Da er nichts hörte, ging er nach unten, wo die beiden Wachen ihn anstandslos passieren ließen. Er verdrückte sich um die Ecke und verrichtete sein Geschäft, doch als er gerade fertig war und sich umdrehte, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen: Vor ihm stand eine Gestalt in einem schwarzen Kapuzenumhang, genau wie Kenara einen trug, und auch die eingestickten Symbole des Übergangs waren im selben Stil gehalten. Im Glauben, es wäre seine neue Angebetete, ging er auf die Gestalt zu, doch die nahm Reißaus und verschwand in der Dunkelheit.

Als Phill den Vorfall den beiden Wachen meldete, die scheinbar nichts gehört oder gesehen hatten, klang ihr gelangweiltes Murmeln für den selbstbewussten Waffenschmied wie Unsicherheit und Unerfahrenheit, und so fasste er den Beschluss, diesen Anfängern zu zeigen, wie man richtig Wache halten würde.

 

Als Shawn am nächsten Morgen aufwachte und Phill nicht in seinem Schlafsack war, fragte sie in die Runde, ob ihn jemand gesehen hatte. Einer der Zwerge meinte, daß er in der Nacht nach unten gegangen, aber nicht zurückgekommen wäre. Also lief Shawn die Treppe hinab und fand Phill, wie er die völlig genervten Wachen mit Tips und aufmunternden Worten zur richtigen Ausübung des Wachdienstes versorgte. Auf die Frage, was er hier machen würde, antwortete der Waffenschmied, daß er mit diesen inkompetenten Anfängern erst einmal Wachen üben musste, und erntete dafür finstere Blicke von den beiden Zwergen. Auf die Frage, ob es denn etwas Interessantes zu sehen gegeben hätte, wurde der T’skrang etwas verlegen und verneinte.

Beim Frühstück lächelte Kenara dann Phill an, was Shawn bemerkte und die beiden anstarrte, bis dies bemerkt wurde. Auf das Interesse angesprochen, wiegelte die Elfe ab, nur um danach verstohlen weiter zu beobachten, was zwischen den beiden Abenteurern wohl abging. In seinem Versuch, Kenara weiter zu beeindrucken, nutzte Phill seine Redegewandtheit, um gehobene Konversation mit der Geisterbeschwörerin zu betreiben, die sich daraufhin nett mit ihm unterhielt.

Als es dann an der Zeit war, zum Kaer aufzubrechen, gab es einen kurzen Tumult, denn Nozzuk Dunkelgräber stellte sich Doralgon Funkenschreck in den Weg. Er rezitierte seine Anweisungen, die er von Magistrat Granithelm persönlich empfangen hatte, daß sein wertvoller Schreiber auf keinen Fall sich persönlich in die Gefahren des Kaers stürzen dürfe, sondern von ihnen hier zur Sicherheit abgeschirmt werden müsse. Jegliche Diskussion wurde vom Söldneranführer mit Verweis auf sein offizielles Schriftstück abgeschmettert, bis sich Doralgon schließlich in sein Schicksal fügte und die Abenteurer bat, an seiner Statt zu gehen. Sie sollten so viel wie möglich über das Kaer herausfinden und so viele Untote wie möglich erledigen, damit das Gebiet als sicher eingestuft werden und er selbst hineingehen konnte. Die vier versprachen es und machten sich lediglich mit leichter Ausrüstung, aber voll bewaffnet auf den Weg zum Eingang.

 

Als Shawn, Phill, Kork und Kenara am Kaer ankamen, blieben die vier erst einmal einen Moment stehen und betrachteten den Eingang, wo neben den Schutzrunen auch Schriftzeichen angebracht waren, die „Kaer Ehrenstein“ in der Sprache der Zwerge bedeuteten. Shawn nutzte ihre Astralsicht, um die Schutzrunen und den Vorraum zu untersuchen und stellte fest, daß die Runen wohl tatsächlich in der „vorschriftsmäßigen“ Weise von außen nach innen neutralisiert wurden und davor wohl vollkommen intakt gewesen waren. Die Kratzspuren an den Wänden auf der Innenseite der Runen hingegen hatten einen dunklen Teint, als ob sie von einer Kreatur verursacht worden waren, die verdorbene Magie nutzte.

Die vier Abenteurer bereiteten sich auf den unvermeidlichen Ansturm von Untoten vor, erhöhten die Erfolgschancen der Gruppe mittels Unterstützungszaubern und die Spruchzauberer justierten ihre Zaubermatrizen entsprechend für den Kampf, bevor die ersten Leichname durch das innere Tor gewankt kamen. Die vier hatten sich so aufgestellt, daß in der ersten Reihe Shawn, Phill und Kenara standen, während Kork aus der zweiten Reihe seine Magie wirken würde.

Zuerst schien es gut zu laufen: Shawn manövrierte einen Kadaverzwerg aus, Phill hieb in den Zweiten tief hinein und Kork gab ihm den Rest. Doch sofort war ein zweiter zur Stelle, und nebenan konnte Kenara zwar mit ihrem Breitschwert einen ordentlichen Treffer landen, doch der Untote rastete dadurch aus und schlug so heftig zurück, daß die Elfe verletzt zu Boden ging. Auch Phill verletzte sich mit seinem Schwert in einem unglücklichen Hieb selbst am Bein, bevor sich beide wieder gefangen hatten. Kenara wirkte daraufhin einen Zauber, so daß ihre linke Hand von einer durchscheinenden blauen Flamme umlodert wurde, und packte damit ihren Gegner. Dieser wurde von der Energie des Totenreichs förmlich zerrissen und verging, doch auch hier rückte sofort ein neuer Gegner von hinten nach.

Die vier Helden kämpften tapfer weiter, doch schien der Vorrat an Untoten in dem Kaer schier endlos zu sein, und Stück für Stück gingen die Kräfte der Lebenden zur Neige. Phill wurde ebenfalls verwundet, konnte sich jedoch auf den Beinen halten und zurückschlagen, während Shawn lediglich angekratzt war. Kork hatte Kenara nach ihrem anfänglichen Treffer mittels Magie etwas wendiger werden lassen, damit sie besser ausweichen konnte, und die Elfe hatte das auch dringend nötig gehabt, da im Gegensatz zum Magier ihre Zauber fast alle voraussetzten, daß sie das Ziel berührte und sie somit in dessen Nahkampfreichweite gehen mußte.

Nachdem sie etliche Kadaverzwerge abgeschlachtet hatten, deren Reihen aber nicht wirklich geschwächt wirkten, gab Kenara das Signal zum Rückzug. Nacheinander lösten sich Phill und Kenara von der Frontlinie und Shawn deckte ihnen den Rückzug, um dann als letzte aus dem Gang zu verschwinden. Wie auch beim letzten Mal überquerten die Untoten nicht die Schattenlinie, so daß die Abenteurer im Sonnenlicht einen Moment verschnaufen konnten, bevor sie den Rückweg zum Basislager antraten.

Dort angekommen stießen Phill und Kenara erst einmal mit einem Heiltrank auf ihre Gesundheit an und ließen das heilsame Gebräu seine Wirkung entfalten, so daß ihre Wunden und Kratzer sich schließen und verschwinden konnten. Währenddessen diskutierte die Gruppe über das, was sie gesehen und erlebt hatten, und gelangten zu dem Schluß, daß man mit einem Frontalangriff an dieser Stelle nicht weiterkommen würde. Eine andere Strategie war gefragt.

Kapitel 4: Auf den Grund

Um die Heilung ihrer Verletzungen nicht zu unterbrechen, verbrachten die Abenteurer den restlichen Tag in ihrem Basislager in der gut erhaltenen Hausruine. Kork kramte in seinen Sachen, sprach mit Doralgon und diskutierte mit ihm über einige geschichtliche Ereignisse und deren Relevanz für das heutige Barsaive. Shawn hatte sich ein Stück Holz organisiert und schnitzte etwas. Phill und Kenara ruhten sich aus und wurden erst abends am Lagerfeuer etwas aktiver. Der T’skrang war offenbar immer noch in die Elfe verschossen, denn er flirtete hemmungslos mit ihr, doch irgendwie schien es diesmal nicht so gut anzukommen wie zuvor. Kenara hatte ein schwarzes Buch aus ihrem Reisegepäck geholt und studierte es eingehend, so daß sie von den Avancen des Waffenschmieds nichts mitbekam.

Am nächsten Morgen verkündete eine etwas übernächtigt wirkende Kenara, daß sie möglicherweise einen Weg gefunden hatte, wie man gefahrlos das Kaer betreten und weitere Nachforschungen anstellen konnte. Ihr schwarzes Buch, in dem angeblich einige Geheimnisse des Übergangs und der jenseitigen Welten enthalten waren, beschrieb ein Ritual zur Herstellung eines Blutamuletts, welches dafür sorgen sollte, daß die Untoten den Träger für ihresgleichen hielten.

Doralgon, den die Söldner weiterhin nicht in das Kaer gehen lassen wollten, mahnte zur Vorsicht, doch die anderen wussten, daß es gefährlich, gleichzeitig aber auch die vermutlich einzige Möglichkeit war, ohne eine halbe Armee an den Untoten vorbeizukommen. Und da die Zwerge sich standhaft weigerten, auch nur einen Fuß in das Kaer zu setzen, hatten sie wenig Auswahl.

Also holte Kenara aus ihrem Reisevorrat vier kleine, grüne, rechteckig geschliffene Edelsteine. Diese mussten im Rahmen eines kurzen Rituals auf einen frischen, blutenden Stich gebunden und dann mit einem Zauber zum Erkennen von Untoten belegt werden. Der Stich würde, wie bei Blutamuletten üblich, so lange nicht heilen, bis das Amulett entfernt und zerstört würde. Phill und Kenara wollten den Stein an einem schwarzen Stoffband direkt am Hals tragen, während Shawn ein Lederband daran befestigte und den Stein lieber auf der Brust, versteckt in ihrem Ausschnitt, tragen wollte. Kork hingegen wählte eine verdeckte Stelle an seiner Hüfte, wo der Stein problemlos mit farbigen Mineralieneinschlüssen in seiner Haut harmonierte und nicht auffallen würde.

Nachdem Kenara das Ritual mit jedem von ihnen durchgeführt und die Amulette auf ihren Zweck eingestimmt hatte, meinte sie, daß es nur eine Möglichkeit gab, herauszufinden, ob das Amulett funktionieren würde.

 

Eine halbe Stunde später standen die vier Abenteurer wieder am Eingang zu Kaer Ehrenstein, atmeten tief durch und spazierten einfach hinein. Im Gegensatz zu ihren letzten beiden Besuchen, wo sie gleich am inneren Tor von einer Horde Untoter abgefangen worden waren, schien sich diesmal niemand für sie zu interessieren. Untote schlurften drinnen herum, schauten gelegentlich auch in ihre Richtung, machten aber keinerlei Anstalten, sie anzugreifen. Also schienen die Amulette tatsächlich zu wirken.

Da sie sich nun relativ frei bewegen konnten, erkundeten die vier in Ruhe das Kaer. Drinnen war die Beleuchtung recht schummrig, da die in Halterungen eingebauten Lichtkristalle fast erschöpft waren und nur noch schwach glimmten, doch jeder hatte einige Fackeln eingepackt, und Doralgon hatte Kenara noch seine Lichtquarz-Blendlaterne geliehen, die dank einer Linse einen recht scharfen, wenngleich etwas grünlichen, Lichtstrahl erzeugte.

Man entschied sich für den linken von drei Korridoren, die allesamt zu Wohnquartieren führten. Auf dieser Seite waren offenbar die Unterkünfte für normale Bauern und Handwerker untergebracht. Das meiste Interieur war seit langem zerfallen und kaum etwas Brauchbares zu finden. Lediglich einige kleine Beutel mit Silbermünzen, sowie einige einfache Schmuckstücke aus Silber konnten die Abenteurer ergattern. Am Ende des Korridors gab es einen Durchgang in den größeren Mittelteil, wo nicht nur die betuchteren Bürger residiert hatten, sondern auch zentral die Schale stand, eine magische Vorrichtung, welche das Magieniveau der Welt anzeigte und dadurch Aufschluß über Verlauf und zu erwartendes Ende der Plage hätte geben sollen.

Flankiert wurde die Schale von zwei Springbrunnen, die jedoch lange nicht mehr in Betrieb schienen und deren klägliche Wasserreste abgestanden rochen. Dahinter waren in einem Halbkreis drei Statuen aufgestellt, welche vermutlich die Passionen dieses Kaers darstellen sollten. Die linke Statue war fast komplett zerstört. Man konnte lediglich noch den Saum eines Rocks und zwei Kinder erkennen, alles darüber war abgebrochen und entweder weggeschleppt oder weiter zerstört worden, denn es gab keine Spuren davon. In der Mitte war ein Zwerg in Arbeitsklamotten mit Hammer und Meißel zu sehen, der eindeutig Upandal darstellen sollte, die Passion der Baukunst und Architektur, und somit für Zwerge die wichtigste der Passionen. Auf der rechten Seite wurde ein reicher Kaufmann mit einem Geldbeutel in der einen und einer saftigen Fleischkeule in der anderen Hand dargestellt. Kork konnte sich darauf keinen Reim machen, aber Kenara und Shawn wussten, daß dies eine Darstellung von Chorrolis war, der Passion von Wohlstand, Handel und Gier. Die zerstörte Statue schien somit Garlen zu gehören, der Passion von Heim, Heilung und Schutz.

Die beiden Elfen fanden es auch sehr bedenklich, daß gerade die Statue von Garlen zerstört war, und Kenara vermutete, daß dies wahrscheinlich mit Absicht gemacht worden war, vermutlich von demjenigen, der auch für die Untoten verantwortlich war.

Hinter den Statuen gab es einen recht großen Schacht, welcher weiter hinunter führte. Offenbar waren einst vier magisch betriebene Liftplattformen vorhanden gewesen, aber nur noch zwei davon standen oben bereit. Man entschied sich für die Plattform hinten rechts und alle stiegen – nach vorsichtigem Testen – auf die Plattform auf. Kork studierte ein kleines Panel, auf dem die Zahlen eins bis vier aufgemalt waren. Die Zahl 1 leuchtete schwach, doch nichts passierte, als der Obsidianer mit dem Finger darauf tippte. Also probierte er dasselbe bei der Zahl zwei, und mit einem Ruck setzte sich die Plattform in Bewegung. Alle wurden davon überrascht, konnten aber ihre Balance halten, bis auf Kenara. Die Elfe ruderte wild mit den Armen und wäre fast von der Plattform gefallen, doch Kork griff in letzter Sekunde nach ihrer Hand und konnte sie festhalten.

Auf Ebene zwei waren Kork und Kenara noch etwas mit den Nerven fertig, dafür konnten die anderen beiden sich einen guten Überblick verschaffen. Hier waren die Stallungen für die ganzen Nutztiere gewesen, die Vorratskammern für Getreide und andere Lebensmittel, sowie das Getränkelager, wo mehrere Reihen Eichenfässer standen. In einigen davon war sogar noch Inhalt, und gemäß der Schriftzeichen schien es noch mehrere Fässer Bier und Wein und sogar einen Schnaps zu geben. Diese waren versiegelt, von daher war davon auszugehen, daß ein Teil noch genießbar hätte sein können, doch für den Moment war keiner in der Stimmung, es auszuprobieren.

Auf dieser Ebene waren ebenfalls Untote unterwegs, jedoch weniger als im Eingangsbereich oben, und auch diese Kadaverzwerge schienen die Abenteurer für Ihresgleichen zu halten.

Also kehrten sie zum Schacht zurück und wählten die drei auf dem Panel. Da diesmal alle darauf gefasst waren, störte der Ruck niemanden und man schwebte weiter nach unten. Auf Höhe der nächsten Ebene war dann auch eine der fehlenden Liftplattformen zu finden, doch wagte keiner zu testen, ob diese auch das Gewicht der Gruppe tragen würde.

Ebene drei enthielt den Erholungsbereich, sowie die Nahrungsproduktion. Die Leuchtquarze gaben hier noch etwas mehr Licht, aber für ein normales Wachstum war dies fast zu wenig. Der Hauptraum war eine schön gestaltete Lichtung mit Bewuchs an den Wänden, Gras auf dem Boden und einem Teich in der Mitte. Im Gegensatz zu den versiegten Brunnen oben hatte dieser eine funktionierende Zuleitung, sowie einen Abfluss. Ob darin ursprünglich Fische geschwommen waren, ließ sich nicht mehr eindeutig feststellen, doch war das Wasser frisch und die Pflanzen wirkten gesund. Shawn bestätigte, daß hier alles genießbar war. Im hinteren Bereich waren einige Büsche mit Beeren angepflanzt worden, und in einer Ecke hatte sich eine essbare Pilzkultur weiter verbreitet. An den Seitenkorridoren waren Getreide- und Gemüsebeete gelegen, die jedoch mangels Wasserzufluß lange verdorrt waren.

Auf Ebene vier hatten Shawn und Kenara gleich ein merkwürdiges Gefühl. Hier war die letzte fehlende Plattform abgestellt und die gesamte Ebene war eine Kopie von Ebene drei mit Feldern in den Seitenkorridoren und einem großen natürlichen Rückzugsort im Hauptraum. Doch die Scout stellte schnell fest, daß die Pflanzen hier verändert waren und dahinsiechten. Shawn berichtete, daß der Astralraum sehr verschmutzt wirkte, und Kork und Phill, die beide viel über Dämonen gelesen hatten, stuften dies als untrügliches Zeichen für die vergangene oder gegenwärtige Anwesenheit eines Dämons ein.

Daß tatsächlich ein solcher hier war, bestätigte Kenara, die auf einen Flecken verdorrtes Gras vor ihnen zeigte, wo die anderen aber nichts erkennen konnten. Stattdessen griffen nun tatsächlich drei Untote die Gruppe an. Während Phill den ersten davon verwundete, verfehlte der zweite Shawn, die ihn ausmanövrierte und Kork, der einen Unterstützungszauber gewirkt hatte, wurde dafür vom dritten erwischt. Plötzlich fasste sich Kenara an den Kopf und schrie, daß der Dämon zaubern würde. Doch da ihn niemand außer ihr sehen konnte, waren die Möglichkeiten der Gruppe eingeschränkt. Also stürmte die Geisterbeschwörerin nach vorn und fasste mit ihrer blau leuchtenden Geisterhand an eine Stelle zwischen den Kadaverzwergen.

Im nächsten Moment erschien dort ein groteskes Wesen mit einem großen Kopf, sowie überdimensionierten Händen und Füßen, während der Rest seines Körpers unnatürlich schlank wirkte. Der Dämon schien verärgert, daß seine Tarnung aufgeflogen war, und schleuderte Kenara mit einem Blitzzauber mehrere Meter von sich, so daß die Elfe mit blutender Nase zu Boden geworfen wurde.

Phill rief Kenara zu, daß sie aufpassen sollte, doch der rasende Kadaver in ihrer Nähe verfehlte sie. Dafür mußte Kork einen Hieb einstecken und revanchierte sich mit seinem Schwert. Auch Shawn landete einen Treffer, doch der Untote schlug gleich zurück und fügte ihr eine tiefe Wunde zu, welche die Elfe erst einmal zu Boden schickte. Dafür bettete Kenara einen der Kadaver mit ihrer Geisterhand zur ewigen Ruhe.

Nachdem sie sich aufgerappelt hatten, machte Phill dem zweiten Untoten den Garaus, während Shawn den dritten niederstreckte. Die ganze Zeit spürten alle immer wieder kleine Stiche in ihrem Geist, was Kork vermuten ließ, daß der Dämon den Magierzauber „Mentaler Dolch“ beherrschte. Also setzte er zu einem stärkeren Zauber an und begann die magischen Fäden zu weben. Inzwischen griffen Phill und Shawn den Dämon mit ihren Schwertern an und Kenara mit ihrer Geisterhand, was ihm nicht sonderlich zu schmecken schien. Dann ließ Kork einen Flammenblitz auf den Dämon niedersausen, so daß er schrie. Phill wurde von weiteren unsichtbaren Geschossen getroffen, so daß er die Konzentration verlor und den Dämone mehrmals verfehlte. Kork hingegen legte mit einem Zauber nach und schwächte ihren Gegner, so daß Shawn ihn bei einem Sprungangriff mit ihrem Breitschwert zerteilen konnte. Entsetzt schrie der Dämon, daß dies nicht sein könne, bevor er in Sekundenschnelle zu einem Haufen Kompost zerfiel.

Nun da die direkte Bedrohung ausgeschaltet war, schauten sich die vier Abenteurer weiter auf dieser Ebene um. Sie entdeckten verdorrte Felder mit verdorbenen Früchten, verfaulte Sträucher und süßlich duftende Pilze in lila mit weißen Punkten. Shawn kannte die Art nicht, aber war sich sicher, daß sie giftig sein mussten. Die wenigen verbliebenen Untoten auf dieser Etage schienen sie wieder zu ignorieren, wie auch die restlichen davor auf den oberen Ebenen.

Als sie zum Aufzugschacht zurückkehrten, hatte sich der Dämon bereits größtenteils zersetzt. Einer Eingebung folgend durchsuchte Shawn seine Überreste und fand ein großformatiges, in schweres braunes Leder gebundenes Buch. Offenbar hatte der Dämon es bewacht, allerdings schien es nicht magisch zu sein, wie ein kurzer Blick bestätigte. Die Abenteurer öffneten es und waren nun im Besitz des Einwohnerregisters des Dorfes und Kaers Ehrenstein. Offenbar war es seit längerer Zeit nicht mehr aktualisiert worden, doch ein Eintrag machte die Abenteurer stutzig: In dem Jahr, als das Dorf ins Kaer übersiedelte und es zum Schutz vor den Dämonen versiegelte, war ein Zwerg der Dorfvorsteher gewesen. Sein Name war Thasgren Granithelm.