Shanta Killian - Ein Stern erwacht
In Shanta tobte ein Kampf. Wenn das wirklich ihre Mutter war, warum hatte sie sie dann nicht schon längst von hier fortgeholt? Vielleicht wollte sie nichts mehr mit ihr zu tun haben. Aber vielleicht wußte sie auch nicht, wohin man die Kinder gebracht hatte. Sie kämpfte gerade für sie, für die gesamte Galaxis. Wenn sie ihr irgendwie helfen könnte. Wenn sie irgendwie sagen könnte: „Ich bin hier!“
„Konzentriert euch auf das Symbol!“ Natürlich! Shanta fixierte das blaue Logo und konzentrierte sich. Es war, als hätte sie ein übervolles Klassenzimmer betreten: überall Stimmengewirr, Präsenzen anderer Wesen, aber körperlos und ohne Form. Für einen kurzen Moment sah sie die Galaxis in ihrer ganzen Anmut durch den Kosmos gleiten. Dazwischen immer wieder das Geschehen in diesem kugelförmigen Raum, aber nicht mehr als Holo, sondern als ob sie direkt dabei wäre. Der Körper der blauhaarigen Frau – ihrer Mutter – begann zu schweben, ihre Haare wurden vom Wind zerzaust und ihre Augen begannen, weiß zu glühen.
Fasziniert betrachtete Shanta das Schauspiel, bis sie die Präsenz bemerkte, die sich ihr genähert hatte. Sie war fremd und gleichzeitig vertraut. „Warum hast Du mich im Stich gelassen, Mami? Wo bist Du?“ fragte sie weinend.
„Ich bin hier, mein kleiner Stern!“ flüsterte die Präsenz, und Shanta glaubte einen Moment lang, die verschwommene Gestalt ihrer Mutter mit den blauen Haaren zu sehen.
„Mami?“ flüsterte Shanta zurück. „Wo bist Du? Warum bist Du nicht bei mir?“
„Ich bin bei Dir!“ flüsterte ihre Mutter ihr zu. „Und ich werde für immer in Deinem Herzen sein!“
Das war fast zu schön, um wahr zu sein. Was, wenn das alles nur ein Trick war? Aber ein so großer Trick? Mit der gesamten Galaxis in Gefahr? In Gefahr wovor?
„Ich verstehe nicht, Mami. Bist Du das im Holo? Was passiert hier?“
„Ich kann es Dir jetzt nicht erklären, mein kleiner Stern! Doch Du kannst Dir sicher sein: Ich habe Dich immer geliebt und werde Dich immer lieben! Du bist das Licht in meinem Leben, das mich immer wieder auf meinen Weg zurückgeführt hat.“
Shanta kamen die Tränen. Sie wollte nach ihrer Mutter greifen, sie berühren, sie festhalten. Doch sie war Lichtjahre von ihr entfernt, konnte nur ihren Geist berühren. Eine kurze Welle Traurigkeit schwappte über sie, große Schmerzen, aber auch immer ein Gedanke: „Shanta, mein kleiner Stern!“
Sie war es, und sie liebte sie wirklich! Shanta wollte nichts mehr, als mit ihr zusammen zu sein, doch sie begann zu ahnen, daß dieser eine Moment nur zustande kommen konnte, weil ihre Mutter mehr von sich gegeben hatte, als sie eigentlich hätte tun können.
„Wirst Du zu mir zurückkommen?“ fragte sie.
„Ich weiß es nicht, kleiner Stern, ich weiß es nicht“, antwortete ihre Mutter. „Aber falls nicht, dann denke immer daran: Ich liebe Dich!“
„Mami!“ weinte Shanta und wollte ihre Mutter umarmen, wollte ihr sagen, daß alles gut werden würde, daß sie auf sie warten würde, doch der Moment war vorbei gegangen und sie war wieder allein.
Mit tränenverschmierten Augen beobachtete Shanta auf dem Holobildschirm, wie die schwebende Gestalt ihrer Mutter einen weißen Strahl auf den völlig entkräfteten dunklen Lord zurücklenkte, der dadurch von innen heraus verbrannte, und dann brach die Verbindung ab. Im Holo konnte man sehen, wie die Explosion des dunklen Lords durch den Raum fetzte und den Körper ihrer Mutter gegen die Wand schmetterte.
Die Kamera zoomte heran, als ihre Kampfgefährten sie umringten. Shanta sah, wie ihre Mutter die Augen öffnete. „Haben… haben wir es geschafft?“ flüsterte sie. Blut rann ihr aus Nase, Mund, Ohren und sogar Augen, und man konnte die Schmerzen in ihrem Gesicht ablesen, die sie durchlitt. Alle nickten und die Twi’lek, die mit einem roten Lichtschwert gekämpft hatte, sprach: „Halte durch! Wir bringen Dich hier raus!“
„Gut!“ flüsterte ihre Mutter, schloss die Augen und ihr Körper erschlaffte.
„Nein!“ schrie Shanta und weckte damit das gesamte Klassenzimmer aus der ehrfürchtigen Starre, in die es verfallen war. „Du darfst nicht sterben!“
Auf Knopfdruck kamen zwei Ordnungskräfte, nahmen das tobende Mädchen in Gewahrsam und verfrachteten sie in eine Zelle.
Shanta war am Boden zerstört. Ihre Mami durfte nicht tot sein! Zwei Tage verbrachte sie weinend und tobend in ihrer Zelle, bis sie sich wieder soweit beruhigt hatte, daß sie klar denken konnte. Sie mußte unbedingt von hier verschwinden und herausfinden, was dort geschehen war. Und diesmal durfte sie niemand wieder einfangen! Sie begann, einen Plan zu entwickeln, der ihre Flucht ermöglichen würde und bereitete jedes Detail davon vor. Mit höchster Konzentration führte sie die einzelnen Schritte aus, hackte die Stationscomputer, programmierte die Konstruktionsdroiden um und manipulierte die Zeitpläne der Versorgungsschiffe. Als die Zeit gekommen war, schlich sie sich aus ihrem Zimmer, versteckte sich in ihrem umgebauten Schrottcontainer und wartete auf die Abholung durch einen unabhängigen, dem Clan nicht verpflichteten Transportunternehmer, den sie über ein schwarzes Brett organisiert hatte.
Wenn sie erst einmal vom Asteroiden entkommen war, würde sie ihr altes Leben hinter sich lassen. Sie brauchte einen neuen Namen, um dort draußen unterzutauchen und sich ein eigenes Leben aufzubauen. Ihre Mutter hatte sie „Kleiner Stern“ genannt, doch war sie mittlerweile nicht mehr so klein. Eines jedoch wußte sie genau: Ihre Zukunft würde hell erstrahlen, genau wie in den Abenteuern ihrer Vorfahrin Khaylee Ru’killian – und auch ihrer Mutter, wo auch immer sie nun weilte.
Shanta Ru’killian war Vergangenheit. Von nun an war sie Ki’Sha Brightstar!
© 2017 by Klaus Zepf