Cyberia - Die Dunkle Stadt
Log 03: Killy An
Da sie sich ihrem Ziel plötzlich sehr nah fühlten, wollten die drei Reisenden natürlich möglichst schnell zu Trance aufholen, die allerdings nur Mia gesehen hatte und dies auch nur kurz. Doch das Gelände vor ihnen, das auf den ersten Blick offen und problemlos gewirkt hatte, entpuppte sich auf den zweiten Blick als genauso trügerisch wie die endlosen Stadtschluchten, die sie hunderte von Metern unter sich zurückgelassen glaubten.
Das gesamte riesige Areal vor ihnen war im Endeffekt ein innenliegender Raum, welcher mit Gebäuden gefüllt war, die in einem nicht erkennbaren Muster nebeneinander angeordnet waren. Darüber war noch jede Menge Freiraum bis zur Decke des Raumes, wo riesige Scheinwerfer für eine Beleuchtung sorgten, die einem natürlichen Tageslicht bislang am nächsten kam.
Die Abstände zwischen den Gebäuden waren mit durchschnittlich zehn bis zwanzig Metern noch moderat genug, daß man sich sicher war, die Distanzen mittels der mitgebrachten Kletterausrüstung zurücklegen zu können. Doch schon der Übergang vom Vorsprung zum ersten Dach sollte sich als knifflig erweisen. Man nutzte Warawas Harpunenkanone und schoss einen Haken auf das Dach, wo man ein Seil spannen konnte. Als Mia jedoch als erste hinüberrutschen sollte, löste sich ihr Karabinerhaken in seine Einzelteile auf und die Twi’lek fiel in die bodenlose Tiefe. Oder zumindest wäre sie gefallen, wenn sie nicht die Macht benutzt hätte, um sich in letzter Sekunde zu retten und stattdessen graziös hinüberzuschweben.
Auf Warawas Protest, warum man das nicht generell so machen würde, antwortete Mia, daß der Einsatz dieser Kräfte einen Preis forderte, welcher in dieser Welt sehr deutlich spürbar war, und daher nur für Notfälle vorbehalten blieb. Schulterzuckend machte sich Warawa daran, als zweites das Seil entlang zu rutschen, doch auch sie hatte Probleme, da die Seilspannung nachgelassen hatte und sie somit an einem schlaffen Seil über dem Abgrund baumelte. Noah nutzte die Stärke seines Cyberarms und brachte genug Spannung in das Seil, um die Kanonierin doch noch nahe genug an das Dach heranzubringen, so daß sie den Rand greifen konnte. Dann folgten die Rucksäcke ohne Probleme und zuletzt Noah. Um nicht jedes Mal wertvolles Seil zurücklassen zu müssen, hatten die drei sich ein kompliziertes System mit einem doppelten Seil ausgedacht, welches dazu benutzt werden konnte, das tragende Seil aus der Ferne zu lösen.
Man stellte fest, daß die Gebäudedächer, oder was auch immer das Gebilde darstellen sollte, auf dem sie sich nun bewegten, ungefähr 100 Meter lang und 30 Meter breit waren. Dies gab ihnen genügend Platz zum Transport ihrer Ausrüstung, bedeutete aber auch lange Wege zwischen den Überquerungsversuchen. Dafür waren die anderen Dächer ungefähr auf der gleichen Höhe wie das, auf dem sie nun standen, was die weitere Kletterpartie wesentlich angenehmer gestaltete.
Das nächste Dach war schräg rechts von ihrer jetzigen Position und wurde mit einem Wurfanker angegangen, dessen Seil auch wieder zum Öffnen befestigt wurde. Mia und Noah kamen problemlos hinüber, Warawa jedoch schien Probleme zu haben und konnte sich grade noch so festklammern.
Ein drittes Dach war an der Schmalseite günstig gelegen und aufgrund des geringen Abstands sprang Noah einfach hinüber, bevor er dort das Seil befestigte. Die Ausrüstung wurde problemlos hinübergebracht, dann tänzelte Mia über das Seil, als ob sie noch nie etwas anderes gemacht hätte. Nur Warawa hatte das Pech gepachtet, denn irgendwie schien ihr Karabiner nicht richtig eingehängt gewesen zu sein, als dieser sich plötzlich löste und sie in die Tiefe zu stürzen drohte. Glücklicherweise war Noah zur Stelle und konnte sie festhalten.
Inzwischen hatte sich die Beleuchtung immer mehr abgeschwächt, was die Reisenden zuerst nicht wirklich wahrgenommen hatten. Nun wurde es jedoch innerhalb weniger Minuten stockdunkel, da das große Licht wohl abgeschaltet worden war und nur noch ganz, ganz schwach nachglühte. Noah holte seinen Glühstab aus dem Rucksack und so bauten sie ihre Zelte auf, da sie in dieser fremden Umgebung nicht das Risiko eingehen wollten, bei Nacht irgendwo zu stolpern oder hinunter zu fallen.
Um nicht überrascht zu werden, wurden wieder Nachtwachen eingeteilt. Warawa übernahm die erste Wache und schlief innerhalb kürzester Zeit aufgrund der Strapazen ein. Glücklicherweise hatten sie gelernt und einen Drei-Stunden-Weckruf in ihre Comlinks gespeichert, so daß die Kanonierin rechtzeitig zur Wachablösung wieder geweckt wurde. Noah indes war ebenfalls müde und schlief ebenso ein, was auch in seinem Fall nach drei Stunden durch den Weckruf beendet wurde. Sanft weckte er Mia, die im Schlaf vor sich hin murmelte, für die letzte Wache.
Auch diese verging ereignislos, und pünktlich nach 9 Stunden wurden die großen Lichter wieder eingeschaltet und tauchten die Stadtlandschaft in dämmrige Schatten.
Der vierzehnte Tag in der fremden Welt begann mit einem kräftigen Frühstück. An diesem Tag legte die Gruppe eine Strecke von 5 Dächern zurück, die in einer leichten S-Form angeordnet waren, um somit tiefer in den riesigen Raum zu gelangen. Sie erlebten einen kompletten Tag-Nacht-Zyklus mit, der durch variierende Lichtstärken der Deckenbeleuchtung in einem 24-Stunden-Schema geprägt war. Weitere Faktoren wie Temperatur oder Luftbewegung schienen nicht zu existieren.
Auf einem der Dächer entdeckte Mia dann auch metallisch wirkende Krümel wie von dem Energieriegel, den sie in einer ihrer Visionen bei Trance gesehen hatte. Für die Twi’lek stand damit fest, daß Trance hier gewesen war und gerastet hatte. Aus Neugier nahm Warawa einen der Krümel und löste ihn in ihrer noch fast vollen Wasserflasche auf. Es zischte kurz und dann explodierte der Inhalt förmlich und schwappte in hohem Bogen aus der Feldflasche. Es stellte sich heraus, daß die Krümel wohl hochkonzentrierte Energienahrung waren. Der eine Krümel ergab mit einem Liter Wasser knapp 5 Liter einer Flüssignahrung, die wie Hühnersuppe roch und schmeckte.
Auch in dieser Nacht wurde wieder eine Nachtwache eingeteilt, und aufgrund des veränderten Winkels konnte man nun hinter einem großen Gebäude im Zentrum des Raumes den Schein einer bläulichen Lichtquelle ausmachen. Das sollte ihr nächstes Ziel sein.
Am 15. Tag nach dem Frühstück packten die drei ihr Lager zusammen und machten sich daran, sich zu einer etwas tiefer liegenden Ebene abzuseilen, von wo aus man das große Gebäude vermutlich besser umrunden konnte. Mia kam problemlos unten an, bei Warawa ging ein weiterer Karabiner kaputt, so daß sie sich gerade noch mit einem eleganten Rückwärtssalto in den Stand retten konnte, ohne sich zu verletzen. Noah hatte weniger Glück, da bei ihm der Rückholknoten des Seils zu früh aufging und er so mehrere Meter in die Tiefe stürzte. Nachdem er rücklings auf dem Boden aufgeschlagen war, brummte er ein leises „Aua“ vor sich hin, hatte aber aufgrund seiner robusten Statur keine nennenswerten Blessuren davongetragen.
Auf der ringförmigen Terrasse, die ganz um das Gebäude herumzulaufen schien, waren noch einige weitere Krümelspuren zu sehen, so daß Mia der festen Überzeugung war, Trance müsste ganz in der Nähe sein. Als man jedoch die nahe Treppe hinuntersteigen wollte, die zu einer tieferen Ebene führte, sahen die Krallenspuren an den Wänden wenig einladend aus, so daß man beschloss, lieber der Terrasse links herum zu folgen, bevor man hinabsteigen würde.
Auf der linken Seite des großen Gebäudes gab es dann eine Überraschung, denn ein Konstrukteur war dort an der Arbeit, um wohl einige Beschädigungen zu beheben, wo unter anderem der Terrassensteg weggebrochen war. Auch eine Stahlplatte wurde gerade installiert, so daß man den riesigen Roboter hätte aufwendig umgehen müssen. Also kehrte man doch nach rechts zurück und stieg die Treppe hinab. Noah übernahm die Spitze und Warawa die Nachhut. Es gab weitere Kratzspuren an Boden und Wänden, die kein gutes Zeichen zu sein schienen.
Um nicht in eine Falle zu laufen, blieb Mia stehen und konzentrierte sich. Dann tastete sie mit der Macht hinaus und zwar in einer unglaublichen Klarheit, die sie selten gespürt hatte. Zwei Präsenzen waren auf der anderen Gebäudeseite festzustellen, doch noch während sie versuchte, mehr Details herauszufinden, spürte sie, wie jemand ihr zuflüsterte, daß die Perimeterverteidigung ein unerlaubtes Eindringen registriert hätte. Sofort ließ die Twi’lek ihre Machtkraft fallen, und das leichte Flimmern eines Hologramms, das sich hatte aufbauen wollen, verglühte ebenfalls.
An der Ecke nahm Noah dann den Geruch von Ozon wahr, hörte ein Summen und sah ein blaues Leuchten, dessen Quelle er nicht ausmachen konnte. Doch als Mia auch um die Ecke schaute, gab es für sie kein Halten mehr: So schnell sie ihre Beine trugen stürmte die Twi’lek zu dem leblosen Körper, der etwas weiter vorn auf dem Boden lag. Viel war nicht mehr übrig, und vor allem kein Kopf, aber der rechte Arm war noch intakt und zeigte eine Zahl, wie auch die bisherigen Körper welche gehabt hatten. Diesmal war es die „3“. Der Körper schien allerdings schon einige Tage herumzuliegen, so daß Mia sich damit beruhigte, daß Trance nach 3 Toden in dieser Welt vermutlich nun in Körper Nummer 4 lebte.
Noah untersuchte den Anschlußport des Schulterstücks und verband dieses mit seinem Datenpad. Es öffnete sich eine Art Diagnoseoberfläche, mit der er aber wenig anfangen konnte. Warawa indes blickte sich um. Ungefähr in Richtung des Konstrukteurs war ein rundes Loch in dem Gebäude zu sehen, und auch direkt über sich war der ringförmige Terrassensteg ebenfalls zerbrochen. Von dort oben schien das blaue Leuchten zu stammen, und als die Kanonierin genauer hinsah, erkannte sie ein turmförmiges Gebilde mit vielen Linsen und Leuchten, welches von der Decke herabhing.
Noch während sie versuchte, aus dem Ganzen einen Sinn abzuleiten, schwenkten alle Lichter auf eine rote Farbe um. Kaum hatte sie die Gefährten darauf hingewiesen, als auch schon die Hölle um sie herum losbrach. Von dem Turm aus wurden vier Blitze auf den Boden geleitet, und begleitet vom durchdringenden Ozongeruch formten sich 4 Vertilgereinheiten der Schutzwehr und sprangen auf die drei Reisenden zu. Doch diese waren wehrhafter, als die Angreifer erwartet hatten. Warawa zerteilte mit ihrer Force Pike den ersten, so daß die Waffe in der Wand steckenblieb. Noah erwischte den zweiten nur mit einem Streifschuß, dafür hielt Mia bei ihrem Angreifer das Rohr, das sie sich als Wanderstab gemacht hatte, so in den Sprung, daß das groteske Wesen sich selbst aufspießte. Noah schlug bei seinem Vertilger mit der Metallhand zu und schaffte es, daß der Schädel einen Riss bekam. Während Noah den letzten mit einem gezielten Schuß erledigte, löste Warawa die Klinge ihrer Force Pike, da diese zu tief in der Wand steckte und sie den Stiel mit ihren Abschüssen keinesfalls opfern wollte.
Doch zum Verschnaufen blieb keine Zeit, denn kaum war der letzte der vier Vertilger gefallen, da sandte der Wachturm acht Blitze aus, die sich in weitere Einheiten verwandelten. Noah fackelte nicht lange und warf eine Granate, doch rutschte ihm diese aus der Hand, so daß sie nur die Hälfte der Vertilger vernichtete und die andere Hälfte auf ihren verbliebenen Gliedmaßen weiterkrochen. Trotzdem erzeugte der Wachturm nun 16 weitere Vertilger, welche die Reisenden langsam bedrängten. Mia schnappte sich noch einen abgetrennten Schädel eines Vertilgers, dann traten sie die Flucht an.
Sie rannten um mehrere Ecken, doch die Verfolger ließen sich nicht einfach abschütteln. Mia ließ eine Granate um die Ecke rollen und erledigte einen Vertilger, während 5 in Teilen weiterkrochen. Noah nahm eine Blasterenergiezelle, warf sie und schoss darauf, was einen ordentlichen Wumms machte. Doch der Wachturm ließ nicht locker und erhöhte offenbar die Bedrohungsstufe, denn nun stürmten 64 Vertilger auf sie ein, denen sie nicht mehr entkommen konnten. Zudem hatten sie zu spät bemerkt, daß sie in eine Sackgasse eingebogen waren. Verzweifelt drehten sie sich um, hinter sich die Wand, vor sich die unerbittlichen Wesen, und machten sich bereit für ihr letztes Gefecht.
„Runter!“ ertönte plötzlich eine bekannte Stimme hinter ihnen. Die drei fackelten nicht lange und warfen sich zu Boden, kurz bevor ein massiver roter Energiestrahl über sie hinwegfegte und von der Horde ihrer Angreifer nur ein paar rauchende Gliedmaßen übrig ließ. Kurz darauf zischte ein zweiter Strahl über sie hinweg und schnitt durch den Wachturm und alle dahinterliegenden Strukturen als wären sie aus Papier. Sobald der Wachturm getroffen war, explodierte er und alle noch verbliebenen Schutzwehr-Einheiten schalteten sich ab.
Nachdem sie nun gerettet waren, standen alle auf und schauten sich um. Mia glaubte, ihren Augen nicht trauen zu dürfen: Hinter ihnen auf einer der Wände stand die in einen schwarzen Anzug gehüllte Gestalt von Trance. Mit einem Sprung, der unmenschlich anmutete, überwand diese die Höhendistanz und landete hart auf dem Boden, so daß sich dort Risse bildeten und ihre Füße einen tiefen Eindruck im Duracrete hinterließen. Sofort war der Neid von Warawa geweckt, die unbedingt auch so einen starken Körper haben wollte. Trance hingegen fragte die drei Reisenden, ob jemand verletzt sei, was alle verneinten.
Nachdem sie ihre Freundin nun endlich in Fleisch und Blut wiedergetroffen hatte, konnte sich Mia nicht zurückhalten, stürmte auf sie zu und umarmte Trance. Die ließ es über sich ergehen, erwiderte die Umarmung jedoch nicht. Stattdessen blickte sie der Twi’lek in die Augen und murmelte eine Art Analyse: „Spezies: Twi’lek, Netzwerkgene: vorhanden, Status: kein Bürger der Megastruktur“. Den Hinweis von Mia, daß sie selbst auch nicht hierher gehören würde, ignorierte sie jedoch. Dann scannte sie Noah: „Spezies: Mensch, verbessert, Netzwerkgene: vorhanden, Status: kein Bürger der Megastruktur.“ Noah lächelte über seine Bezeichnung als „verbesserter“ Mensch. Dann war Warawa an der Reihe: „Spezies: Mensch, keine Netzwerkgene vorhanden, Status: unbefugter Eindringling.“
Warawa war pikiert, als sie offenbar weniger wert als der Rest eingestuft wurde, fragte dann aber zurück, wer ihre Retterin sei. Diese antwortete, ihr Name sei „Killy An“.
Doch Mia ließ nicht locker und bombardierte Killy An so lange mit Dingen aus ihrer Vergangenheit, bis ihre Erinnerung zurückkehrte und sie zitternd zusammenbrach. Trance erzählte von ihrem Tod, von ihrem Erwachen in einem Klontank und ihrem Auftrag, den sie von den sogenannten „Caretakern“, dem Verwaltungsrat dieser gigantischen Stadt, bekommen hatte: Sie sollte einen Menschen mit Netzwerkgenen finden, der als legitimer Bürger der Stadt wieder die Kontrolle über die amoklaufenden Maschinen übernehmen konnte. Bis jetzt war ihre Mission allerdings noch nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Ihre beste Information war, daß sich im Sektor Tôa noch menschliche Überlebende befinden sollten. Dies war ihr nächstes Ziel, und erst, wenn sie den Auftrag erfolgreich ausgeführt hatte, würden die Caretaker sie wieder zurückschicken. Das hatte man ihr versprochen.
Mia, Noah und Warawa versprachen, ihr dabei zu helfen, und dann brach man auf, da man schon zu lange an dieser Stelle geblieben war und die Chance auf weitere Begegnungen in diesem Labyrinth scheinbar funktionsloser Gebäude mit jeder Stunde weiter anstieg. Nach sechs Stunden Wanderung wurde eine kurze Pause eingelegt, doch dann zog man weiter. Am Abend suchte man sich eine Nische, in der man einigermaßen geschützt war, knabberte an einem Energieriegel und legte sich schlafen, mit den üblichen Wachen.
Der 16. Tag brach an, und bereits beim Frühstück ging das Wasser zur Neige, so daß man als nächstes Ziel eine Wasserquelle suchen wollte. Glücklicherweise hatte man das Ende dieser Höhle erreicht und Noah konnte einen Greifhaken auf eines der Gebäude schießen, so daß man sich am Seil emporziehen konnte. Trance folgte mit den ganzen Rucksäcken, und nach einem kurzen Sprung hatte man einen Vorsprung in der hinteren Wand der Stadthöhle erreicht, von wo ein dunkler Gang weiterführte.
Nach kurzer Zeit führte der Gang bergab und es stand dreckiges Wasser darin, das mit jedem Schritt tiefer wurde und nicht sehr vertrauenserweckend aussah. Daß es dies auch nicht war, wurde klar, als ein Tentakel irgendeiner Kreatur sich um Trance’s Körper legte und sie unter Wasser ziehen wollte. Noah eilte mit seinem Vibromesser zur Rettung, doch er rutschte aus und rammte die Klinge stattdessen in Trance’s Unterleib. Die schien den Schmerz allerdings nicht zu spüren, zog die Klinge heraus und trennte damit das Tentakel ab, so daß der Rest der Kreatur sich zurückzog.
Trance wurde wieder zusammengeflickt, wobei klar wurde, daß ihr aktueller Körper sehr viel robuster als ein menschlicher Körper war und definitiv aus einem anderen Grundstoff bestand. An einer Leiter konnte die Gruppe in eine höhere Ebene vordringen, wo ein beschädigter Wassertank wohl die Überschwemmung des Gangs verursacht hatte. Wenigstens konnten die Wasservorräte aufgefrischt werden, dann war eine anstrengende Strecke durch einen weiteren überfluteten Gangabschnitt fällig. Das schultertiefe Wasser zehrte an den Kräften der Reisenden, so daß diese froh waren, nach einer halben Stunde des Watens in einen höherliegenden Quergang abbiegen zu können, welcher weiß gehalten und beleuchtet war.
Erst einmal wurde die komplette Ausrüstung auseinandergenommen, getrocknet und sauber gemacht. Dann schaute man sich um und entdeckte Hinweisschilder auf ein Informationszentrum in der Nähe. Mit neuer Energie begab sich die Gruppe durch makellose weiße Gänge dahin.
Das Zentrum war ein ebenfalls in weiß gehaltener, kreisrunder Raum mit vielen Bildschirmen. Im Zentrum gab es eine halbkreisförmige Konsolenstation und einen Holoemitter, den ersten, den sie in dieser Welt gesehen hatten. Während das Besucherzentrum Trance, Mia und Noah willkommen hieß und sämtliche ihrer Anfragen mit einer KI beantwortete, wurde Warawa von dem System komplett ignoriert. Das frustrierte die Kanonierin ungemein, doch es schien, als wäre sie für die KI nur Luft.
Offenbar waren die Reisenden die ersten Besucher seit Eröffnung des Zentrums vor 3.724.640 Stunden. Also war das ganze Gebiet seit 425 Jahren verlassen. Diese Erkenntnis war schon sehr beunruhigend, aber es kam noch schlimmer. Es gab von hier bis zum Sektor Tôa angeblich 5 Transportmöglichkeiten, doch die Zugstationen lagen ein gutes Stück zurück und zu Fuß würde es 325 Tage dauern, den Sektor zu erreichen. Die einzig vernünftige Möglichkeit schien ein alter Hangar in der Nähe zu sein, in dem man hoffen konnte, ein Fluggerät zu finden, welches die Strecke in kürzerer Zeit zurücklegen konnte.
Zwei Stunden später hatte man den Zugang zum Hangar erreicht. Noah bereitete es keine Schwierigkeiten, sich in den RFID-Leser zu hacken und die Tür zu öffnen. Scheinbar gab es dort nicht nur Energie, sondern auch ein relativ wendiges Rotorfluggerät, das zu fliegen Noah sich zutraute. Den Rest des Tages verbrachte die Gruppe damit, den Skyhopper zu testen, einige beschädigte Teile auszutauschen und zu reparieren, sowie sicherzustellen, daß man am nächsten Tag starten konnte. Abends zogen sich Mia und Trance in die Hangarkontrollzentrale zurück, welche den Raum überblickte und von wo aus man laut Beschreibung die Hangartore öffnen können sollte. Dort händigte Mia Trance den Datenchip aus, den Shanta ihr vor dem Aufbruch mitgegeben hatte. Mit Tränen in den Augen hörte sich Trance die Nachricht ihrer Tochter an, die sie seit 14 Jahren nicht gesehen hatte. Dann wollte sie von Mia alles wissen, was in der Zwischenzeit passiert war und wie es Shanta ging.
So verging die ganze Nacht, ohne daß eine der beiden auch nur ein Auge zugemacht hätte. Stattdessen übernahmen Noah und Warawa die Wachposten und ließen sie gewähren.
Am Morgen des 17. Tages sollte der Abflug planmäßig stattfinden. Alles Gepäck war im Skyhopper verzurrt worden, Noah saß im Cockpit und ließ die Maschinen warmlaufen, als Mia total übernächtigt einstieg und sich in einem Passagiersitz anschnallte. Warawa und Trance öffneten die Hangartore, doch nur eines davon ließ sich problemlos öffnen, das zweite klemmte. Beim Versuch, das Problem mit Gewalt zu lösen, riss Warawa den Hebel der Steuerung ab. Daraufhin stemmte sich Trance mit der ganzen Kraft ihres verstärkten Körpers gegen den zweiten Torflügel und konnte diesen nach einem schwierigen Start auch weit genug zur Seite schieben, daß der Skyhopper hindurchfliegen konnte. Dann sprang sie ebenfalls an Bord und Noah hob ab und steuerte den offenen Bereich an.
Doch so offen war der Bereich gar nicht. Gähnende Schwärze tarnte lediglich den Fakt, daß sie sich innerhalb einer gigantischen künstlichen Höhle befanden, und gleich nach Passieren des Hangartors schmierte das Fluggerät auch ab. Im freien Fall ging es mehrere hundert Meter nach unten, bis Noah die Kontrolle wiederhatte und hochziehen konnte. Mia bekam davon allerdings nichts mit, da sie bereits vor Erschöpfung auf ihrem Sitz eingeschlafen war. Noah kommentierte dies trocken, indem er meinte, jemand solle Mia wecken, doch Trance widersprach, da die Twi’lek ihren Schlaf brauchen würde.
Der einzige Ausgang aus dieser künstlichen Höhle bestand aus drei großen Rohren, und da niemand einen genauen Lageplan hatte, entschied sich Noah für das rechte Rohr und flog hinein. Es folgten einige Windungen und Abzweigungen, bei denen Noah ebenfalls aus dem Bauch heraus einen Weg einschlug. Trance ließ ihn gewähren, da sie selbst auch nicht mehr über diese Gegend wusste, geschweige denn den genauen Weg kannte, und scheinbar war sein Gefühl sehr gut, denn nach einigen Stunden gelangten sie nach oben in einen weiten Raum, der durch eine ebenfalls künstliche Decke begrenzt war, aus der immer wieder in Abständen Antennen, Masten und Versorgungsleitungen herabhingen.
Der friedliche Teil ihrer Reise endete jedoch hier, denn ein anderes Fluggerät brauste heran und eröffnete das Feuer auf den Skyhopper. Noah konnte das entstellte und hassverzerrte Gesicht ihrer Widersacherin Iko erkennen, die sie etliche Ebenen tiefer bereits bekämpft hatten. Die kybernetische Lebensform schien nicht gewillt, sie an ihrem Ziel ankommen zu lassen und ließ einen Geschosshagel auf sie regnen, dem Noah nur mit Mühe ausweichen konnte. Warawa bemannte das Geschütz ihres eigenen Skyhoppers und feuerte zurück, wobei sie zeigen konnte, wie gut sie mit Kanonen umgehen konnte. Direkt mit dem ersten Schuß wurde Iko’s Flieger getroffen und schmierte ab, doch zwei weitere Fluggeräte, die ebenfalls mit Siliziumwesen besetzt waren, näherten sich und verfolgten den Skyhopper. Warawa feuerte wieder und erwischte den zweiten Verfolger und Noah hängte den dritten zwischen einigen Antennentürmen ab, wo sich der Verfolger selbst aufspießte.
Trance bemerkte in einer Nische in der Decke eine Einflugschneise für einen Hangar und Noah hielt darauf zu. Zuerst sah es nach einer Routinelandung aus, doch beim Einflug mit hoher Geschwindigkeit übersah Noah eine Kabelbrücke, die tief in ihren Flugkorridor ragte, und rasierte den Geschützstand oben komplett ab. Glücklicherweise hatte Warawa das Hindernis gesehen und war im letzten Moment nach unten in den Passagierraum gesprungen. Durch den Treffer konnte Noah den Skyhopper nicht mehr halten, setzte hart auf und knallte ungebremst in eine massive Wand.
Trance bemerkte von hinten, wie sich die Nase des Fluggeräts verformte und wusste, daß Noah nicht mehr genug Zeit blieb, um sich loszuschnallen und nach hinten zu springen, bevor er zerquetscht werden würde. Also konzentrierte sie sich und nutzte die Macht, um Noah samt Pilotensitz aus dem Cockpit nach hinten zu reißen. Warawa lag glücklicherweise am Boden und wurde verfehlt, doch Trance selbst konnte nicht mehr ausweichen und Noah war so geschockt, daß er nicht mehr reagieren konnte und samt Pilotensitz gegen Trance knallte und ihren Körper gegen die noch geschlossene Rampe quetschte.
Von dem Ruck wachte immerhin Mia wieder auf und war noch ziemlich groggy, als Warawa bemerkte, daß der Skyhopper bereits Feuer fing. Schnell befreiten sich Mia und Noah von ihren Gurten, und Noah schleppte den erstaunlich schweren Körper von Trance aus dem Wrack, während Warawa die ganzen Rucksäcke schnappte und hinausrannte. Mia folgte ihnen, immer noch nicht so ganz bei der Sache, doch sie verstand, daß man schnell verschwinden mußte, denn der Skyhopper würde in Kürze explodieren.
Sie erreichten eine Tür, die von dem Hangar weiterführte, doch Noah mußte Trance absetzen, um das Schloß zu knacken. Sobald sie offen war, hechtete der Pilot hinein, Warawa folgte mit den Rucksäcken und Mia sprang hinterher. Mit der Macht zog sie den Körper von Trance ebenfalls in Sicherheit und legte sich mit aktiviertem Machtschild über sie, als ihr havariertes Transportmittel in einem Feuerball explodierte.
Zum Glück schien niemand außer Trance mehr als ein paar Kratzer abbekommen zu haben. Trance jedoch schien es übel erwischt zu haben und sie murmelte noch etwas von Notabschaltung zur Regeneration, bevor ihr Körper zusammensackte und reglos liegenblieb. Also schauten sich die drei anderen um und fanden einen Trolley, auf den sie den schweren Körper ihrer Gefährtin hieven konnten, so daß man ihn leichter transportieren konnte. Inzwischen kannte man auch die üblichen Zeichen für Wasser und konnte in einem Versorgungsraum welches auffüllen, bevor es durch schier endlose Gänge weiter in Richtung Sektor Tôa ging.