Cyberia - Die Dunkle Stadt
Log 04: Die Schutzwehr
Als die Gruppe am 18. Tag erwachte, schien auch Trance wiederhergestellt zu sein, so daß sie sich wieder aus eigener Kraft bewegen konnte. Dies war umso wichtiger, da man direkt in einem Vorraum genächtigt hatte, dessen Tür auf einen kleinen Vorsprung hinausführte. Dieser bot eine spektakuläre Aussicht auf den Tôa-Sektor und das umliegende Gebiet. Hatten die Reisenden bisher geglaubt, schon den größten Innenraum dieser Welt gesehen zu haben, wurden sie hier eines Besseren belehrt: Die Höhle war vermutlich mehrere hundert Kilometer im Durchmesser und in der Ferne verschwammen die Details im dämmrigen Dunst. In der Mitte erstreckte sich eine gigantische Säule – der eigentliche Tôa-Sektor – vom Boden bis zur Decke und darüber hinaus. Allein der Sektor schien mehrere Kilometer Durchmesser zu besitzen. Um die Säule herum gab es einen 30 Kilometer breiten Abgrund, dessen Tiefe nicht abzuschätzen war, und auch am oberen Ende kündigte sich ein ähnliches Bild an. Von der halbwegs runden Außenwand der Höhle bis zum Abgrund mussten es auch mindestens 50 Kilometer sein, doch auch diese Angabe war pure Spekulation, da die zerstörte Ruinenlandschaft einer ehemaligen Stadt das Gebiet überzog und daher nur schwer korrekte Entfernungen abzuschätzen waren.
Der Vorsprung lag knappe 500 Meter oberhalb des Bodens dieser Höhle, und somit waren die Reisenden einen knappen Tag damit beschäftigt, diese Höhendistanz über mehrere Plattformen und Vorsprünge zu überwinden und zwischendurch zu rasten.
Unten legten sie noch ein gutes Stück zurück, bevor sie – geschützt von einigen Rohren – ein Nachtlager aufschlugen. Warawa meinte, während der ersten Wache eine Bewegung gesehen zu haben, doch während ihrer und auch Mia’s Schicht passierte sonst nichts. Als die Reihe an Noah war, hörte er ein Metallstück, das vermutlich weggestoßen wurde, und weckte die anderen. Doch sie waren bereits umzingelt.
Als der 19. Tag in der fremden Welt Cyberia anbrach, sahen sich die vier Reisenden von einer Gruppe aus 10 Personen umzingelt, die ihre primitiven, gewehrartigen Waffen auf sie gerichtet hatten. Ihre Gesichter hatten sie unter Helmen verborgen und trugen auch Körperpanzerungen, die denen ähnlich sahen, welche die Reisenden viele hundert Ebenen tiefer bei den Bewohnern des Dorfes von Meister Sheng bereits gesehen hatten.
Ganz besonders nervös schienen sie gegenüber Trance zu sein, die sie für eine Schutzwehr-Einheit hielten, sowie gegenüber Mia, die für sie eine Mutantin sein musste, denen man geheimnisvolle Psi-Kräfte nachsagte.
Während Noah und Warawa noch versuchten, zu schlichten und zu erklären, bemerkten sie jedoch, daß sich wohl in der Nacht ein Wachturm an einer von der Decke hängenden Struktur in der Nähe gebildet hatte, dessen Leuchtaugen nun von gelb auf rot umschwenkten. Der Wachturm hatte sie also bemerkt und sandte Blitze, deren Einschläge 16 Schutzwehreinheiten formten. Trance fackelte nicht lange und schaltete den Turm mit einem gezielten Schuß ihrer Schockwellenwaffe aus, so daß der Strahl noch weit durch die Höhle zog und irgendwo weit entfernt mit einer Explosion in einer der außenliegenden Strukturen verschwand.
Der Kampf gegen einen gemeinsamen Feind brachte Leben in die Versammlung, und so kämpften alle Seite an Seite, um die Vertilger auszuschalten. Diese Monster waren jedoch etwas anders als die letzten, denn anstatt einfach in den Nahkampf zu gehen, schoss einer von ihnen auch Metalldarts ab, von denen einer Noah in seinen mechanischen Arm traf. Dies verletzte ihn zwar nicht, aber als er den Dart herauszog, bemerkte er, daß die Spitze wohl vergiftet war. Der Pilot rief eine Warnung, doch der Vertilger hatte schon eine weitere Salve von drei Pfeilen abgeschossen, welche auf einen der fremden Jäger zuflogen. Trance warf sich dazwischen und fing die Projektile mit ihrem Rücken ab, so daß die anderen die restlichen Vertilger ausschalten konnten. Dann brach Trance zusammen und schien ohnmächtig zu werden.
Durch diese Aktion hatte sie allerdings das Vertrauen der Jäger erlangt, und da der Wachturm zerstört war, nahmen diese dann auch in einer geschützten Nische ihre Helme ab, um sich zu bedanken. Die Jäger schienen allesamt jünger zu sein, als man es bei der Rüstung auf den ersten Blick vermutet hatte. Anführer war der 20-jährige Tetsu, und mit seiner 16-jährigen Freundin Sara bildete er einen guten Altersdurchschnitt ab. Auch die Reisenden stellten sich vor und kümmerten sich dann um ihre Verletzungen. Zuerst versuchte Mia, die Wunden von Trance und ihre Vergiftung mit der Macht zu heilen, doch schien dies bei ihrem Körper nicht zu funktionieren. Noah durchsuchte die Umhängetasche von Trance und fand eine Silikonpaste, ähnlich der, die sie viele Ebenen tiefer bei einem anderen Körper von ihr gesehen hatten. Damit bestrich er die Wunden in ihrem Rücken, die nach dem Entfernen der Darts zwar nicht wirklich bluteten, aber eine andere Art Flüssigkeit absonderten.
Dann wurde Noah neugierig und entfernte die puppenartige Gesichtsmaske von einem ihrer Angreifer, um daran sein Datenpad anzuschließen. Es funktionierte, doch bereits nach wenigen Sekunden zeigte das Pad ein Abbild der Maske und machte sich scheinbar selbstständig. Laut Anzeige versuchte es, einen weiteren Wachturm zu kontaktieren, woraufhin Noah das Pad fallenließ und einmal kräftig mit dem Stiefel darauf trat, um es unschädlich zu machen.
Warawa, die nichts abbekommen hatte, erzählte derweil den Jägern, woher sie kamen und was eine Galaxis war. Dann brach man auf, da es laut den jungen Leuten ein strammer 2-Tages-Marsch zurück zu ihrem Dorf war, wo man eventuell Hilfe für Trance’s Zustand finden könnte – wenn man nicht zu spät kam, denn das Gift zirkulierte bereits durch ihren Körper und legte ihn lahm. Also musste sie getragen werden, was die jungen Leute über ein Tragegestell regelten.
Gegen Abend erreichten sie ein Gebäude am Rande des Abgrunds, wo Tetsu das Nachtlager aufschlagen wollte. Von dort aus wäre es noch einmal mehr als eine Tagesreise zum Dorf, welches auf der Außenseite des riesigen Zylinders lag und über ein schmales Stegesystem erreichbar war. Besorgt über den Zustand ihrer Freundin schaute Mia sich um und bemerkte, daß das Gebäude in Wirklichkeit eine Art Bahnhof war, in dem noch ein Zug stand, welcher über die in den Stegen eingebauten Magnetschienen fahren konnte. Es bereitete der Twi’lek keine Probleme, die Tür zu knacken und ins Innere des Triebkopfs zu gelangen. Dort konnte sie mit ein wenig Suchen die passenden Schalter finden, um den Generator der Lokomotive zu starten, und bat dann darum, daß alle einsteigen sollten.
Die jungen Leute waren begeistert, daß die Fremden die alte Technologie verstanden und aktivieren konnten, da dieses Wissen bei ihnen selbst schon lange verlorengegangen war. Mit dem Zug legten sie die Strecke von anderthalb Tagen Fußmarsch in knapp anderthalb Stunden zurück. Sara zeigte ihnen unterwegs die beiden Stellen mit den breiteren Plattformen, wo sie auf ihren Jagdausflügen sonst immer rasteten.
Als sie ungefähr die Hälfte der Strecke zum Dorf hinter sich hatten, murmelte Trance den Satz „Netzwerk nicht verfügbar“, bevor sie in einen tiefen Schlummer fiel, das Gift jedoch scheinbar ebenfalls seine Wirkung verlor.
Als sie mit dem Zug in den Bahnhof an der Mittelsäule einfuhren, an den das Dorf sich anschloss, war ihnen die gesamte Aufmerksamkeit gewiss. Die Neuankömmlinge wurden von Meister Shigeru, dem Dorfältesten, freundlich begrüßt und man brachte den bewusstlosen und ziemlich schweren Körper von Trance einige Treppen hinauf zur Hütte der alten Nila, der schamanistischen Heilerin des Dorfes. Zwar waren auch hier die Leute skeptisch bezüglich Trance und Mia, doch als Tetsu erzählte, wie Trance einen Wachturm mit einem Schuß erledigt hatte, war auch hier das Vertrauen gegeben und Nila versprach, alles in ihrer Macht stehende für sie zu tun.
Die Gäste wurden zum Essen eingeladen und die Dorfbewohner teilten das wenige, was sie noch hatten, mit ihnen. Meister Shigeru erzählte, daß sie einst über 2.000 Menschen gewesen waren, als man vor Generationen hierher gewandert war. Nun waren lediglich um die 400 Leute übrig, darunter einige wenige alte Leute, die zu gebrechlich für die Jagd waren, und vorwiegend junge Leute, die schon früh den Umgang mit den Rüstungen und den Pfeilwerfern trainierten, denn die Jagd war ihre einzige Nahrungsquelle, und aufgrund der vielfältigen Gefahren in der Stadt kehrten immer weniger Jäger zurück.
Weiterziehen war aber auch keine wirkliche Option, da irgendeine scheinbar mystische Kraft an diesem Ort wirkte, welche die Wachtürme und Vertilger blind für ihre Siedlung machten. Selbst wenn die Mordmaschinen es wagten, über die Stege zum Dorf zu krabbeln, fielen sie in der Regel auf halber Strecke in den Abgrund oder hörten auf, sich zu bewegen. Mia setzte sich nach dem Essen zur Meditation hin, doch spürte sie eine ordentliche Dämpfung ihrer Machtkräfte, die im gesamten Dorf zu wirken schien. Vielleicht hing es irgendwie damit zusammen, denn aus ihren Visionen wusste sie, daß die Schutzwehr ziemlich heftig auf ihre Machtverbindung zu Trance reagiert hatte. Sollte die Schutzwehr am Ende selbst die Macht einsetzen oder irgendwie an sie gebunden sein? Einmal mehr war die Twi’lek glücklich, etwas Abstand von der Macht und der damit einhergehenden Verantwortung zu haben und genoss die „Stille“.
Warawa hingegen suchte mehr Action und stellte sich der Neugier der jüngsten Generation des Dorfes. Geduldig beantwortete sie die Fragen der Kinder und pickte sich dann ein ungefähr achtjähriges Mädchen namens Kiki als Liebling heraus, welches die größte Bewunderung für die Kämpferin gezeigt hatte.
Noah war pragmatischer und nutzte den Energiegenerator, den er in seinem Rucksack mitschleppte, um die Batterien der Dorfbewohner wieder aufzuladen. Genau wie Meister Sheng’s Dorf weiter unten hatten auch die Kampfanzüge der Jäger hier eine Kraftverstärkung und ein HUD in ihren Helmvisieren, doch gingen ihre Batterien ebenfalls rapide zur Neige und es waren kaum noch genügend Zellen für ihre Anzüge vorhanden.
Das Eingangstor zum Inneren des Tôa-Sektors wurde den Besuchern ebenfalls gezeigt, jedoch stellte sich heraus, daß die Dorfbewohner weder lesen, noch schreiben konnten und somit nicht in der Lage waren, die fremden Schriftzeichen zu deuten, welche auf die Eingangstür gemalt waren.
Da die Dorfbewohner so freundlich zu ihnen waren und Tetsu sie als starke Kämpfer hervorgehoben hatte, war es für die Reisenden fast eine Pflicht, den Bewohnern bei ihrer nächsten Jagd zu helfen, um sich für die Gastfreundschaft zu revanchieren. Zudem war Trance immer noch nicht aufgewacht, und man konnte sie während des Ausflugs in der sicheren Obhut der Schamanin zurücklassen.
Warawa nutzte ebenfalls noch einige Zeit, um den Dorfbewohnern, vor allem aber den jungen Mädchen, die Grundlagen des Stabkampfs zu erklären und ihr Können zu demonstrieren.
Am 20. Tag ging es los. Man hatte am Abend noch per Makroglas eine Gruppe Riesenmaden in den westlichen Stadtruinen ausgemacht, die man mit der erhöhten Kampfstärke der Gäste jagen wollte. Aus Erfahrung wussten die Dorfbewohner, daß eine kleine Made alle für mehrere Tage sättigen würde, und eine große Made musste das Dorf für mehrere Wochen ernähren können. Leider hatte man bislang nicht gewusst, wie man weit entfernte Gebiete mit den Helmdisplays heranzoomen und nach Beute absuchen konnte, daher waren mehrtägige Wanderungen und die aufwendige Suche nach potentiellem Essen nötig gewesen.
Dank der Nutzung des Zuges, dessen Trasse vom Dorf aus auch über den schwindelerregenden Abgrund zum westlichen Stadtbezirk führte, kam die Gruppe nach nur zwei Stunden statt zwei Tagen in den Ruinen an. Die Reisenden versuchten zwar, einen Blick in den Abgrund zu erhaschen, doch konnten sie keinen Boden erkennen, weil irgendwann alles in dämmriger Schwärze verschwand.
Die gesamte Gruppe war 30 Leute stark, die Hälfte davon als designierte Träger für die erwartete Jagdbeute. Um zu den Maden zu gelangen, die sie Tags zuvor erspäht hatten, mussten sie auch einen kleinen Abgrund überqueren, der sich inmitten der Ruinen erstreckte. Doch dank der Fitness und Ausrüstung der Gruppe stellte dies kein großes Hindernis dar.
Dann waren sie angekommen und Tetsu erklärte den Gästen, daß man normalerweise 10 Jäger brauchte, um eine 5 Meter lange Made zu töten. Meistens spielte einer den Köder und lockte sie weg, während die anderen auf das Tier schossen, bis sie das Gehirn genug geschädigt hatten, daß es starb.
Mia leitete daraus ab, daß eine Waffe mit viel mehr Durchschlagskraft, wie zum Beispiel ihr schwerer Blaster, das Gehirn der Made viel schneller rösten und die Prozedur somit vereinfachen könnte. Sie probierte es bei ihrem ersten Ziel aus und tötete die Made mit nur einem gezielten Schuß.
Noah wollte es ihr unbedingt gleichtun und nahm eine zweite Made aufs Korn. Doch war seine Zielgenauigkeit nicht ganz so hoch, so daß er drei Schüsse brauchte, um die Made zu töten. Schwer fiel sie zu Boden und zerplatzte dabei auch noch, was weißes, schleimiges Fleisch in alle Richtungen spritzen ließ. Der Pilot drehte sich um und wollte eine einladende Geste für den Rest machen, als hinter ihm ein noch größeres Exemplar durch eine Wand hindurchbrach. Diese Made hatte eine Länge von gut 10 Metern und ziemlich spitz aussehende Zähne um ihr Maul herum, mit dem sie Noah in einem Satz verschlang.
Mia reagierte sofort und betäubte die Made mit ihrem Blaster, so daß man Noah aus dem Maul herausziehen konnte. Warawa holte den Piloten mit Mund zu Mund Beatmung wieder ins Leben zurück und anschließend wurde auch diese Made getötet und fachmännisch zerlegt, wobei auch die Zähne als Trophäen und Werkzeuge ausgebrochen und mitgenommen wurden.
Nach bereits einer halben Stunde Jagd und zwei Stunden Zerlegen waren sämtliche Behältnisse prall gefüllt, so daß man sich guten Mutes auf den Rückweg machte. Das erbeutete Fleisch würde das gesamte Dorf für mehrere Wochen satt machen können, und somit war die Aktion ein voller Erfolg gewesen.
Doch der Rückweg gestaltete sich als erheblich schwieriger, da mit den großen Paketen der Abgrund ein Problem darstellte. Zudem war gerade ein Konstrukteur dabei, einen Teil der Stadtlandschaft umzubauen, so daß man einen erheblichen Umweg in Kauf nehmen mußte.
Mia versuchte, mit ihrem Datenpad eine Verbindung zu dem riesigen Roboter aufzubauen, denn wenn die Maschine entfernte Ähnlichkeit mit denen auf Pallas Dea hatte, konnte man sie vielleicht auch mittels galaktischer Technologie steuern. Sie stellte fest, daß der Roboter wohl sendete, aber nichts empfing. Die Twi’lek speicherte einige seiner Übertragungsimpulse und versuchte, sie zu entziffern, doch erwies sich dies als schwierig, da es sich um eine Abwandlung des bekannten Droidenbinär handelte, die sie nicht lesen oder deuten konnte.
Inzwischen hatte Warawa ein Stück weiter vorn in den Ruinen ein Mädchen erspäht. Dieses hatte die seltsame Jagdprozession beobachtet, war dann aber ein Stück weggerannt und hatte sich versteckt. Als die Schützin das Kind erreicht hatte, blickte es sie aus großen Augen neugierig an. Es mochte vielleicht 8 bis 10 Jahre alt sein, war verdreckt und in Lumpen gekleidet. Nach ein wenig gutem Zureden rückte es auch seinen Namen heraus: Riku-chan. Es folgten die üblichen Fragen nach Eltern, Geschwistern oder anderer Sippschaft, aber das Mädchen meinte nur, daß ihre Eltern sich schon seit Tagen nicht mehr bewegt hätten.
Also ging Warawa mit, als Riku-chan ihr Zuhause zeigte: ein Stück eines Gebäudes, dessen Eingang etwas eingestürzt war, so daß man sich hindurchquetschen mußte. Als man dann die Wohnung betreten hatte, wurde der Gestank atemberaubend, so daß Mia schnell flüchten musste. Aber auch Noah band sich ein Tuch um Mund und Nase und hatte sichtlich Probleme, während Warawa wohl einigermaßen klarkam. Die Wohnung war kaum noch als solche zu erkennen, denn das Mobiliar war größtenteils verfallen und überall lag Dreck und Müll herum, darunter auch Papier von Schokoriegeln. In Riku-chans Zimmer gab es eine groteske Puppensammlung und einen Haufen Kerzen, während ein Blick ins Schlafzimmer Noah fast zum Übergeben zwang: Die Eltern, die sich „seit ein paar Tagen“ nicht mehr bewegt hatten, waren bereits fast bis zur Unkenntlichkeit verwest.
Man war sich einig, daß das Kind hier keine Sekunde länger alleine bleiben durfte und fragte, ob es ins Dorf mitkommen wollte. Tapfer nickte das Mädchen, schnappte sich seinen schon halb zerfetzten Teddy und folgte Warawa nach draußen. Auch die Jäger nahmen das Kind freundlich auf und so ging es zurück zum Bahnhof.
An diesem Abend wurde im Dorf gefeiert. Mit der größten Jagdbeute seit Jahren war das Überleben des Dorfes für viele Wochen gesichert und endlich konnten sich alle wieder einmal sattessen. Es gab gegrillte Made, Madengulasch und Wackelpeter, dazu aus gezüchteten Pilzen fermentiertes Bier für die Erwachsenen. Die Stimmung war ausgelassen und die Dorfbewohner glücklich. Mia ließ die Menschen feiern und besuchte Trance, deren Zustand sich nicht verändert hatte. Noah hatte die Zeit bis zum Fest genutzt, sich zu waschen und seine Ausrüstung zu reinigen. Warawa hatte Riku-chan und Kiki miteinander bekanntgemacht und sie dann zum Spielen geschickt, während sie sich ein wenig von dem Pilzbier gönnen wollte.
Mia hatte gerade Trance verlassen, um selbst auch noch ein wenig von der Stimmung einzufangen, als ihre Freundin leicht unsicher aus der Hütte getaumelt kam und mit suchendem Blick durch das Dorf wankte. Als sie die spielenden Kinder erblickte, wurde ihr eigener Blick starr und sie zog ihre Pistole, um sie auf die Mädchen zu richten. Mia fiel ihr in den Arm, so daß der Schuß weit nach oben vorbeizischte und auch Warawa wollte wissen, was in Trance gefahren sei. Die flüsterte „Schutzwehr!“ und deutete auf Riku-chan, die wiederum nicht lange fackelte, sich Kiki schnappte und ihr das Genick brach, bevor sie den Körper die Treppe hinabstieß. Während die Dorfbewohner noch total schockiert waren, zog Riku-chan aus ihrem Plüschbären eine Waffe, die der von Trance ähnlich sah und feuerte damit auf eine Parabolantenne, die ein Stück oberhalb des Dorfes an der Außenfassade des Tôa-Sektors angebracht war.
Im nächsten Moment spürte Mia wie die Machtdämpfung, die sie wahrgenommen hatte, schlagartig verschwunden war. Mehrere Wachtürme in der gesamten südwestlichen Stadt schalteten auf rot um und begannen damit, Blitze auszusenden, die sich zu Schutzwehreinheiten formten. Noah stürmte auf Riku-chan zu und versuchte, sie aufzuhalten, doch er kam zu spät, um den Schuß zu verhindern und wurde von dem schmächtigen Mädchen kraftvoll zurückgestoßen.
Dann bildete sich ein Wirbel um Riku-chans Körper, bei dem Materie mit hoher Geschwindigkeit herumgewirbelt wurde. Noah wollte hindurchgreifen, um das Monsterkind zu packen, doch allein die Berührung des äußersten Randes des Wirbels schabte bereits eine Schicht Metall von seinem künstlichen Arm ab, so daß er sich stattdessen zurückzog.
Wenige Sekunden später löste sich der Wirbel auf und vor ihnen stand eine androgyne Gestalt, wie Mia sie bereits in ihren Visionen erlebt hatte. Sie stellte sich als Riku-san vor, eine hochrangige Schutzwehr-Kommandoeinheit, die damit beauftragt war, dieses Dorf mitsamt seiner illegalen Bewohner aus der Megastruktur zu entfernen.
Damit begann sie, aus ihrem in einen Strahler endenden rechten Arm wild in die Menge zu feuern und Menschen zu töten, während von der Kante Vertilgereinheiten auf die Dorfbewohner einstürmten und sie zerfetzten. Zwar rannten die Jäger zu ihren Anzügen und Waffen und wehrten sich so gut es ging, doch waren sie einer solchen Übermacht nicht gewachsen.
Mia griff Riku-san direkt mit der Macht an, doch war diese offenbar auch nicht ganz unbewandert darin und hielt nicht nur stand, sondern schleuderte Mia auch ein gutes Stück zurück. Trance nutzte ihre Waffe und schaltete einige der nächsten Wachtürme aus, konnte aber ansonsten wenig ausrichten, da sie Gefahr gelaufen wäre, Dorfbewohner zu verletzen.
Nachdem Mia den Kürzeren gezogen hatte, stürmte Warawa hasserfüllt über den Verlust ihrer kleinen Freundin Kiki auf Riku-san zu und lieferte sich, nachdem ihre Wurfwaffen nichts ausrichten konnten, ein kurzes Nahkampfduell mit der Schutzwehreinheit, bei dem ihr einige Rippen gebrochen wurden. Verwundet und geschlagen zog sich Warawa zurück und half den Jägern dabei, die Vertilger von so vielen flüchtenden Dorfbewohnern wie möglich fernzuhalten.
Auch Noah hatte sich dieser Aufgabe verschrieben und wütete unter den mechanischen Puppen soweit es seine Stärke und sein Blaster zuließen. Trance schnappte sich nun Riku-san und lieferte sich einen harten Kampf, bei dem beide die Waffe ihres Gegenübers zur Seite drückten und sich mit allem, was sie hatten beharkten. Selbst Trance mit ihrem verstärkten Körper war bestenfalls gleichwertig, aber keinesfalls Riku-san überlegen.
Das ging eine Zeitlang gut, bis Riku-san eine Anfrage an ihre Exekutiveinheit stellte, das Ausrottungslevel aufgrund unerwarteten Widerstands drastisch zu erhöhen. Die Anforderung ging durch und ihre Armkanone wurde zu einer Molekülschockwellenwaffe aufgestuft, die mit einem einzigen Strahl den rechten Arm von Trance abtrennte und den Körper kraftvoll in die nächste Wand donnern ließ.
Inzwischen war Mia am großen Tor zum Tôa-Sektor angekommen, wohin Meister Shigeru seine Leute geschickt hatte, doch da niemand wusste, wie die Tür zu öffnen war, kauerten alle weinend davor. Die Twi’lek bahnte sich einen Weg und untersuchte das Schaltpanel neben der Tür. Es schien nicht viel komplizierter aufgebaut zu sein wie das des Zuges, den sie problemlos hatte kurzschließen können. Also versuchte sie ihr Glück und bekam gerade noch mit, wie Trance schwer verwundet wurde. Doch sie wich nicht von ihrem Posten, da sie wusste, daß niemand überleben würde, wenn sie diese Tür nicht aufmachen konnte.
Riku-san lachte hämisch, als ihr roter Vernichtungsstrahl durch Decken, Wände und Fleisch schnitt, als wäre alles nur Butter. Allein die Außenhaut des massiven Zylinders des Tôa-Sektors hielt der Energie des Strahls stand, doch von dem Dorf waren längst nur brennende Trümmer übriggeblieben, und verstümmelte Leichen pflasterten den Weg, den die Schutzwehr nahm. Trance schien besiegt und Noah und Warawa kämpften auf verlorenem Posten, zusammen mit den verbleibenden Jägern, denen langsam die Munition ausging.
Dann bewegte sich Trance und blickte zu Warawa hinüber. Sie bat um Hilfe und deutete auf ihren abgetrennten Arm, dessen Hand immer noch die Pistole hielt. Warawa überlegte einen Moment lang, ob sie die Pistole nehmen und selbst auf Riku-san schießen sollte, doch dann erinnerte sie sich daran, wie sehr Trance mit ihrem verbesserten Körper sich gegen den Strahl stemmen mußte, und entschied, daß sie – erst recht mit ihren gebrochenen Rippen – nicht in der Verfassung war, das zu versuchen. Also nahm sie den Arm samt Waffe, die beide deutlich schwerer waren, als auf den ersten Blick ersichtlich und schwang ihn um sich herum.
Trance hatte inzwischen in ihre Umhängetasche gegriffen und drei Injektionsspritzen hervorgezogen, die sie sich in den Hals rammte, worauf ihre Augen sofort aufleuchteten und sie aufspringen konnte. Warawa ließ den Arm los und er flog genau zu Trance, die ihre Waffe an sich nahm. Riku-san hatte dies gesehen und drehte sich zu Trance um. Sie hob ihren rechten Arm, um ihre eigene Schockwellenwaffe auf Trance abzufeuern, als diese ihre Pistole mit der linken Hand hob. Die zierliche Waffe klappte auseinander und schien sich ebenfalls zu vergrößern, während sie sich auflud.
Mit einem geringschätzigen Grinsen im Gesicht feuerte Riku-san ihre Armkanone auf Trance ab, während diese gleichzeitig ihre Pistole abfeuerte. Beide Strahlen trafen sich in der Mitte, es gab einen gleißenden Lichtblitz und für einen Moment schienen die beiden Kräfte sich gegenseitig aufzuheben. Doch dann gewann der Strahl aus Trance’s Pistole das Kräftemessen und Riku-san wurde von der ungeheuren Kraft des Strahls von der Plattform gefegt, während Trance rückwärts in die Wand donnerte, wo sie einen Eindruck hinterließ. Wenige Sekunden später verhallte Riku-sans Schrei in der Tiefe während ihr Körper in einer heftigen Explosion verging.
Inzwischen hatte Mia es geschafft, das Türschloss am Eingang des Tôa-Sektors zu überwinden, und die große, runde Luke schob sich zur Seite. Schnell lotste sie alle überlebenden Dorfbewohner ins Innere, wo ein sauberer, hell erleuchteter Gang hineinführte. Auch Warawa und Noah zogen sich mit den Jägern zurück und Trance folgte ihnen, ihren abgetrennten rechten Arm unter den linken geklemmt.
Nachdem alle im Inneren waren, suchte Mia verzweifelt den Kontrollmechanismus, um die Tür zu schließen, doch merkwürdigerweise verharrten die Vertilgereinheiten der Schutzwehr an der Türschwelle und schienen nicht eintreten zu können, als ob eine unsichtbare Barriere sie zurückhalten würde. Was plötzlich gar nicht mehr zurückgehalten wurde, fiel Mia erst im zweiten Moment auf: Die Macht war hier drinnen in voller Stärke aktiv, genau wie in ihrer Heimatgalaxis.
Nach kurzem Suchen hatte die Twi’lek dann auch den Schalter gefunden und das große Tor schloss sich. Die Flüchtlinge waren in Sicherheit. Dann schaute sie sich um. Von den ungefähr vierhundert Dorfbewohnern hatten es immerhin 280 lebend ins Innere geschafft, nicht zuletzt durch das beherzte Eingreifen ihrer Freunde und der Jäger. Unter den Überlebenden waren auch der Dorfälteste Meister Shigeru, die Schamanin Nila, sowie Tetsu und Sara. Auch Trance, Warawa und Noah saßen erschöpft in dem Gang, schienen aber nicht in Lebensgefahr zu sein. Trance ließ sich gerade den rechten Arm von Warawa mit Klebeband wieder am Stumpf befestigen und schien dabei keine Schmerzen zu spüren. Beruhigt schaute Mia nach den Schwerverletzten und half ihnen so gut sie konnte, indem sie die Macht in vollen Zügen benutzte, um so viele zu retten wie möglich.
Trance ließ sich den Arm von der finster dreinblickenden Warawa ankleben und nutzte dann selbst die Macht, um die Kanonierin von ihren Verletzungen zu heilen, doch nicht einmal ein Wort des Dankes kam mehr über die Lippen der zuvor so lebenslustigen Schützin. Der Tod ihrer kleinen Bewunderin Kiki hatte ein tiefes Loch in ihre Seele gerissen und sie schwor sich, daß diese dreckigen Bastarde von der Schutzwehr teuer dafür bezahlen würden.